Da quälst du dich am Montagmorgen mühsam aus dem Bett, wankst zur Kaffeemaschine, holst eine frische Tasse aus dem Schrank… und lässt sie fallen. Genau auf den Henkel. Und der zerbricht in 4 große und x kleine Teile (sehr kleine, Staubsauger ist hier die richtige Wahl, denn Keramikscherben sind echt unangenehm in Füßen). Bei einer meiner schwedischen Standard-Tassen wäre mir das ziemlich egal gewesen. Aber dieser zerbrochene Henkel gehört zu einer Tasse, die mir meine Oma geschenkt hat. Zum Auszug in die erste eigene Wohnung. Eine Lieblingstasse.
Dazu fällt mir sofort Kintsugi ein (natürlich nicht das Wort, das musste ich erst wieder ergoogeln). Kintsugi ist eine traditionelle japanische Reparaturtechnik und bedeutet übersetzt etwa „reparieren mit Gold“. Denn die Japaner schmeißen zerbrochene Keramik nicht weg, sondern flicken sie in aufwendiger Handwerkskunst und veredeln die Bruchstellen mit Gold. Wie schön!
Wir schmeißen also Dinge nicht weg, wenn sie Risse bekommen oder zerbrechen, sondern wir reparieren sie und machen etwas Neues, Schönes daraus. Natürlich kann man diesen Gedanken auch übertragen auf andere Bereiche des Lebens. Ein schlimmes Ereignis, eine Trennung, eine Krise – all diese Dinge können Risse oder sonstige Schäden an uns hinterlassen. Manche versuchen wir zu verstecken, überspielen die Verletzung einfach, tun so, als wäre nichts geschehen.
Aber den Fokus darauf zu richten, dass da etwas mal zerbrochen war… Schau hin, ich war mal anders, aber jetzt habe ich goldene Nähte! Ich bin nicht mehr neu, nicht unversehrt, aber ich werde immer schöner und besser. Eine neue Version sozusagen.
Die Reparatur ist aufwendig und je nachdem, wie kaputt die Teller, Schüsseln oder Tassen waren, kann man sie danach nicht mehr für Lebensmittel nutzen. Aber auch das passt ja: Eine neue Bestimmung, eine neue Funktion, Hauptsache, wir bewahren das geliebte Stück.
Nicht alles kann man ersetzen
Fast nichts in meiner Wohnung, fast nichts das ich besitze, ist so wichtig, dass es nicht ersetzbar ist. Es sind ja nur Dinge. Und trotzdem hänge ich an einigen Dingen mehr als an anderen. Ich hab ja schon mal darüber geschrieben, dass ich mitunter ein recht kompliziertes Verhältnis zu Besitz habe – minimalistisch bin ich definitiv nicht, auch wenn ich das so attraktiv finde. Einfach alles weggeben und irgendwo ne kleine Hütte im Wald (ja, ich weiß, romantische Vorstellung und so).
Was aber für mich nicht funktioniert: Ne neue Tasse kaufen. Das ist einfach nicht das gleiche. Und das ist ja auch so, wenn wir auf Beziehungen oder Verletzungen schauen. Wegwerfen ist da oft nicht die beste Option. Aber es kann eben auch nicht so bleiben wie es ist, in Scherben. Die dann auch noch scharfe Kanten haben.
Also reparieren, zusammensetzen, kleben. Und dann vielleicht wirklich mit Gold veredeln. Etwas völlig Neues schaffen. Ich finde den Gedanken gerade sehr reizvoll.
Du kannst mir übrigens einen Kaffee-Regen schenken, wenn dir danach ist. Weil Geben und Nehmen zusammengehören. Meine Kaffeekasse findest du hier.
2 Antworten
Es gibt einen – wie ich finde – sehr schönen Song dazu:
„I am one of those Japanese Bowls.“ von Peter Mayer
https://www.youtube.com/watch?v=qOAzobTIGr8
Ein schöner Song, stimmt. Kannte ihn nicht. Ich glaub, das Thema ist ohnehin viel vielschichtiger als ich zunächst dachte…