Wie finde ich meinen Stil, wie finde ich meine Botschaft, wie finde ich meine Ziele, …? Ich weiß nicht, wie viele E-Mails mit solchen Fragen ich schon in meinem Posteingang hatte. Und ich verstehe auch, woher sie kommen, denn man könnte ja meinen, wenn es Menschen gibt, die ihre Botschaft, Sprache oder was auch immer gefunden haben, dann wüssten die, wo man suchen muss. Aber ich denke, es geht nicht ums Finden im Leben. Es geht ums Kreieren.
Welche Texte muss ich lesen, um meine eigene Sprache zu finden? Meinen Ausdruck, meinen Stil? Ich denke, man müsste alle lesen – und keine. Denn haben wir sprechen gelernt, indem wir nur zugehört haben? Klar, das war der Anfang, schon im Mutterleib, wenn das Gehör ausgebildet ist, können wir Töne hören, Stimmen wahrnehmen (jedenfalls wenn wir ein gesundes Gehör haben). Das machen wir, wir hören zu. Und dann fangen wir an, zu plappern, zu testen. Laute, Töne, Silben, aber auch Experimente mit Lautstärke werden da monatelang, jahrelang geübt.
Dann irgendwann erste Worte. Und zwar solche, die vielleicht noch nicht gut verstanden werden – oder nur von einer sehr kleinen Gruppe von Menschen, nämlich denen, die uns am meisten um sich haben. Ganz ehrlich: Ich verstehe fremde Kleinkinder selten, meinen Junior dagegen habe ich meist gut verstanden, obwohl er lange Zeit noch Schwierigkeiten mit bestimmten Konsonanten-Verbindungen hatte. Da wurde aus Schwein „Schrein“ und aus Qualle „Kralle“ – aber diese Macken haben sich ausgewachsen.
Wichtig aber: Das hat sich durch Ausprobieren und ständige Wiederholung ergeben, nicht durch häufigeres Zuhören. Und so ist es auch mit dem Schreiben, vielleicht sogar mit dem ganzen Leben. Es bringt nichts, nach etwas zu Suchen, sondern wir kreieren es.
Werde der du bist?
Jeder Satz, den ich schreibe, ist Teil meines Findungs-Prozesses. Jeder Text, den ich veröffentliche (oder nicht veröffentliche), ist Teil meines Gesamtwerks. Und klar, da gibt es welche, die wichtiger sind als andere. Aber das werde ich bei vielen von ihnen erst später erkennen können.
Also definitiv kein Grund, etwas nicht zu schreiben, weil es nicht gut genug sein könnte. Hätten wir so gedacht, als wir sprechen oder laufen lernten, könnten wir es vielleicht immer noch nicht. Stell dir vor, du hättest als Kleinkind gedacht: „Nee, das kann ich so nicht sagen, nicht dass mich einer auslacht, wenn ich undeutlich artikuliere…“
Ich denke, mit dem Leben ist es auch so. Ich muss mich nicht finden oder eben der Mensch werden, der ich bin, wie es der griechische Dichter Pindar und später Nietzsche („Ecce homo“) gesagt haben. Ich muss mich nicht „ent-wickeln“ oder „selbst erkennen“, wie es als Inschrift am Orakel von Delphi gestanden haben soll, sondern ich setze mich zusammen. Jede Entscheidung, die ich treffe, macht mich mehr zu mir selbst – auch die schlechten Entscheidungen. Es ist aber ein Schaffens-Prozess und kein gedanklicher Fortschritt. So sehe ich jedenfalls die Welt.
Ich kann so viel meditieren und reflektieren wie ich will, mir hinterher meine Entscheidungen erklären, mir selbst die Erlaubnis geben im Nachhinein. Aber letztlich kreiere ich doch mit jedem Tag mich selbst, meine Geschichte.
Welche Geschichte erzählst du dir?
Ich kann meine Geschichte aus vielen Perspektiven erzählen. Und ich kann sie von verschiedenen Startpunkten aus erzählen, mit unterschiedlichen Hauptcharakteren. Kann mich als aktive Macherin präsentieren oder als Mitläuferin, die nur „Ja“ zu jeder offenen Tür gesagt hat, die auf ihrem Weg lag. Wie ich sie mir selbst erzähle, verändert wiederum meine Sicht auf mich selbst. Ich finde das großartig!
Ich erzähle meine Geschichten, weil ich glaube, dass sie inspirieren können. Und wenn nicht, dann tragen sie immerhin dazu bei, dass ich meine eigene Geschichte weiterschreibe. Wie werde ich über dieses Jahr 2023 berichten? Wie werde ich darüber erzählen Anfang 2024, in 10 Jahren oder wenn ich 80 bin? Es werden komplett unterschiedliche Geschichten sein, aber alle werden wahr sein.
Also schreibe ich sie vielleicht alle. Denn in jeder stecken wieder gute Gedanken. Ich bin schon gespannt, was dabei herauskommt.
Ich kreiere mein Leben denkend und schreibend. Aber die wegweisenden Veränderungen ergeben sich aus dem Tun. Meinen Stil und meine Story entwickle ich ebenso im Tun. Laut denkend, schreibend, diskutierend. Mal mehr und mal weniger. Ich finde mich nicht, sondern baue die Anna, die dann von diesem Prozess berichten kann.
Schön, dass du ein paar Etappen mitgehst 😉
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