Mein Vater starb mit 46 Jahren, 1998 war das, ich war 12. Im November wird das also ein Vierteljahrhundert her sein. 25 Jahre, in denen ich manchmal merkte, dass mir etwas verlorengegangen ist, manchmal aber auch nicht. Man kann nicht die ganze Zeit darüber nachdenken, was fehlt oder wer fehlt – aber immer wieder ploppt es auf, in unterschiedlicher Intensität. Seit damals, 1998, habe ich den Tod als Teil des Lebens gesehen, weil mir schmerzlich bewusst geworden war, dass es von einem Tag auf den anderen vorbei sein kann. Für mich auch ein Grund, mein Leben so zu gestalten, dass ich nichts bereuen muss – insbesondere nichts bereuen, weil ich etwas nicht getan, nicht gesagt oder nicht ausprobiert habe.

Im vergangenen November schrieb ich meinem ehemals besten Freund die Nachricht: „Ich vermisse dich.“ Denn es war wahr. Wir hatten uns aus den Augen verloren, als neue Menschen in unsere Leben kamen. Wir setzten Prioritäten anders, unsere sehr nahe Verbindung, die ich so geschätzt hatte, bekam Brüche. Immer wieder hatte ich Versuche gestartet, Termine vorgeschlagen, nachgefragt. Aber nichts, keine Zeit.

Und dieses „keine Zeit“, ohne Gegenvorschlag auch noch, das machte etwas mit mir. Ich hatte an anderer Stelle bereits darüber geschrieben, wie teuflisch diese Worte für mich klingen. Mit der Zeit fragte ich nicht mehr so oft nach, irgendwann ließ ich es ganz bleiben.

Und doch war es mir wichtig, ihm diese drei Wörter zu schreiben, denn das war es, was ich fühlte. Ich wollte sie auf keinen Fall ungesagt lassen. Die Antwort blieb aus – das ist ja auch ein Statement. Ich vermisse ihn bis heute. Aber ich wollte mir später nicht vorwerfen müssen, es nicht versucht zu haben. Noch einmal.

Wenn das Leben schnell ist, müssen wir anhalten

Manchmal fliegt der Alltag zu schnell an mir vorbei, dann sind die Wochen voll mit Terminen, mit Sport, mit Haushalt, Schule und Arbeit. Und dann steht Junior neben mir, während ich den Salat fürs Abendessen zusammenschnippele, schaut mich an und sagt „Mama? Herz“.

Herz. Das ist unser Codewort. Wenn einer von uns dieses Wort sagt, dann lassen wir alles stehen und liegen, um uns zu umarmen. Denn wenn es eine Umarmung braucht, gibt es nichts Wichtigeres – das hatte ich Junior gesagt, seit er ganz klein war.

Wir halten also alles an. Den Alltag, was auch immer wir gerade tun. Für einen kurzen Moment. Warum aber mache ich das nur für Junior? Warum nicht für mich, für andere? Wenn es doch eigentlich nichts Wichtigeres gibt als das? Wenn unsere Speicher gerade leer sind, wir Sehnsucht haben nach etwas anderem als Alltag – warum dann nicht kurz anhalten?

Ich habe mich dann gefragt, wie ich Begegnungen gestalten möchte. Wenn ich meine Lieben treffe, dann will ich nicht ständig mit anderen Dingen beschäftigt sein. Mein Handy ist allzu oft dabei und das ist doch gar nicht das, was ich brauche. Also versuche ich, wenn ich Freunde oder Familie treffe, wieder ganz bewusst, mein Handy dort zu lassen, wo es hingehört – in der Tasche. Das habe ich mir vorgenommen und bei einigen Begegnungen in den vergangenen Wochen und Monaten auch schon getestet.

Es macht einen riesengroßen Unterschied. Einfach da sein. Ohne Nachrichten, Timelines und Likes. Einfach anhalten und aussteigen, nur für einen Moment oder ein paar Stunden. Danke an euch, die ihr mir das ebenso zurückgeschenkt habt. Vielleicht braucht es ein Codewort, um mich selbst daran zu erinnern, dass ich doch jederzeit einfach anhalten kann. Herz.

Keine halben Sachen

Wenn ich mich für etwas entscheide, dann ganz und gar. Dann schmeiße ich alles in den Ring, was ich habe. Das ist auch der Grund, warum es bei mir manchmal länger dauert, bis ich eine endgültige Entscheidung treffen kann. Denn ist es erstmal so weit, verwende ich viel Energie darauf, zu tun, was getan werden muss.

Ist das einmal nicht so und habe ich eine halbherzige Entscheidung getroffen, dann fällt mir das auf die Füße – das kenne ich natürlich auch. Ist mir im Business, aber auch im Privatleben schon passiert. Dann wollte vielleicht jemand anderes, dass ich etwas tue, und ich sagte nicht schnell genug Nein.

Ich war aber eben nicht mit voller Energie dabei, wollte es nicht genug. Solche Vorhaben scheitern. Über eines dieser gescheiterten Projekte habe ich kürzlich in Ute Blinderts Netzwerkbooster-Podcast gesprochen, wir haben das Gespräch am 31. August aufgenommen.

Diese halbherzigen Pläne und Ideen, in die ich mich nicht mit allem, was ich habe, hineinwerfe, erkenne ich meist nach zwei oder drei Monaten. Etwas dann wieder loszulassen, ist zwar die beste Option, aber nicht immer leicht.

Dennoch: Nehme ich von solchen Projekten Abstand, ist wieder Platz für andere Dinge. Und das ist auch ganz im Sinne meines Grundgedankens: Nichts bereuen.

Etwas ausprobieren: Ja.

Es wirklich wollen und alles dafür geben: Ja.

Alles sagen, was gesagt werden muss: Ja.

Und aufhören, wenn man spürt, dass es nicht das war, was es hätte sein sollen.

Ich glaube, das nennt man lernen. Und es erinnert mich an dieses wundervolle Zitat von Arthur Schnitzler, der sagte:

„Schlimmer betrogen, wer aus Angst vor Enttäuschung immer wieder sein Glück versäumte, als wer jede Möglichkeit eines Glückes ergriff, selbst auf die Gefahr hin, es könnte wieder nicht das wahre gewesen sein.“

Leben und lieben, als wäre es der letzte Tag

Was gewinnen wir also, wenn wir leben, als wäre es unser letzter Tag? Wenn wir anhalten für die Dinge und Menschen, die uns wirklich wichtig sind? Für kleine Abenteuer und große Projekte?

Ich für meinen Teil glaube, dass dies genau die Art ist, wie Erfüllung funktionieren kann. Nicht indem wir alles Schlechte ausblenden, das wäre dumm. Aber indem wir uns Räume schaffen, in denen wir anhalten und aussteigen, um die Dinge zu erleben, an die wir uns gern erinnern möchten.

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