Während ich diesen Text schreibe, sitze ich an meinem alten Stammplatz auf der Galerie in der zentralen Halle der Uni Bielefeld. Unrühmlich habe ich diese Institution ohne zweiten Abschluss verlassen, 2022 war das, aber eigentlich war ich seit 2020 nicht mehr hier. Denn da kam Corona und die Kita war zu. Ich war so wenig systemrelevant wie man nur sein kann, also blieben Junior und ich zuhause. Und dann kam ich nicht wieder rein. Master studiert, aber ohne Abschluss, exmatrikuliert. Heute aber wieder hier zu sein, ist wie nach Hause kommen – auf eine andere Art.
Junior „studiert“ hier ab heute, er nimmt an dem Programm „Kolumbus Kids“ teil und darf jetzt gemeinsam mit anderen Experimente machen, Theorien und Thesen aufstellen, diskutieren – wissenschaftlicher Kram halt. Und weil ich ihn hier jetzt wöchentlich abliefern darf, sitze ich in der Halle, wie früher, als ich noch studiert habe.
Es sind noch Semesterferien, daher ist es leer hier, selbst jetzt, zur besten Zeit. Ich merke: Ich komme mir nicht so alt vor wie ich gedacht hatte. Als ich mich in die Schlange bei meinem Lieblings-Kaffeedealer stelle, merke ich es dann aber doch. Er sieht noch so aus wie früher, aber da sind graue Strähnen in seinem Haar. Schon komisch, dass wir uns jetzt seit fast 20 Jahren „kennen“.
Kennen ist natürlich zu viel gesagt, aber ja, klar erkennt er mich, fragt: „Wie immer?“ und natürlich – wieso sollte ich meine Kaffee-Trinkgewohnheiten ändern? – bestelle ich stinknormalen Kaffee. Ja, wie immer. Wie schon 2005, als ich anfing, zu studieren.
Und damals hatte ich keine Ahnung, wie das geht, was mich hier erwarten würde, was ich erwartete von diesem Studium. Blauäugig dachte ich an Humboldt, an Erkenntnis, an nächtelange Diskussionen bei Bier und Wein, an anregende Gedanken und inspirierende Themen und Menschen.
Damals dauerte es nicht sehr lang, bis ich diese Gedanken verworfen hatte, denn mein Bachelor-Studium war wie Schule. Kurse, der*die Dozent*in erzählt irgendwas, dann musste man irgendwas tun, wenn man eine Note haben wollte. Es gab auch Hausaufgaben und zwischendurch auch Anwesenheitspflicht – mit Listen. Wie Schule, nur in groß.
Aber das, was abseits des „Studierens“ passierte, das war wichtig. Die Menschen, die ich kennenlernte, die Dinge, die ich ausprobieren konnte, die Arbeit, die Vereine, die Organisationen – und ja, auch die Partys.
Und der Kaffee. Immer mein Anlaufpunkt, wenn ich Zeit hatte. Ganz früher, also so richtig früher, da durfte man hier auf der Galerie noch rauchen – ja, ich bin doch ganz schön alt. Da holten wir uns den Kaffee, stellten uns irgendwohin auf dieser Galerie, die sich ja über die ganze Halle erstreckt, und rauchten. Coffee and Cigarettes, so war das einfach.
Wir hingen rum, verquatschten viele Stunden, anstatt ernsthaft zu studieren. Und das war für uns genau richtig, für mich. Mein Freund wohnte damals im Studentenwohnheim, das heute Studierenden-Wohnheim heißt. Ich ging einfach rüber, wenn ich durch war mit meinen Kursen, und wir schauten Filme, gingen aus, trafen Freunde.
Das Gefühl war damals ein ganz anderes. Wir hatten keine Verpflichtungen, nur unsere Jobs und ja, irgendwie auch das Studium, wobei uns ja niemand im Nacken saß, weil wir uns selbst finanzierten. Es gab keine festen Zeiten, keine Routinen, Wochenenden verschwammen mit dem Rest der Woche.
Natürlich war damals nicht alles besser, aber ich war leichter. Nicht mein Körper, sondern mein Kopf, mein Herz. Weniger Dinge, die ich tun musste. Weniger Verantwortung. Weniger Pläne. Aber auch: Weniger Geld, weniger Familie, weniger Halt.
Alles hat seine Zeit. Dieser Ort hier erinnert mich an dieses Jahrzehnt, in dem ich alles ausprobiert habe – und dabei lernte ich mich selbst immer besser kennen. Zwischen 19 und 27 hatte ich dieses große Freiheits-Gefühl, das man vielleicht nur haben kann, weil man noch nicht weiß, wer man ist – und weil es gar nicht interessiert.
Heute bin ich froh drum, dass ich mir diese Zeit gegeben habe. Und ich bin froh drum, dass ich mir erlaubt habe, alles zu machen, was sich mir an Chancen geboten hat. Hat nicht alles funktioniert, aber ich wusste immer: Hier bei meinem Kaffeedealer ist die Welt in Ordnung. Ich kann zurückkehren, hier ist alles wie immer. Wie nach Hause kommen.
Du kannst mir übrigens einen Kaffee-Regen schenken, wenn dir danach ist. Weil Geben und Nehmen zusammengehören. Meine Kaffeekasse findest du hier.
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