Wieder mal ist es das System Schule, das mich über meine Identität nachdenken lässt und darüber, was meine Namen damit zu tun haben. Am Freitag kam der Brief von der weiterführenden Schule, Junior ist angenommen und geht ab August auf sein – oder unser – Wunsch-Gymnasium. Und der Brief ist adressiert an mich – natürlich. Und zwar mit allen meinen Vornamen. Dabei bin ich mir 1000-prozentig sicher, dass ich wie immer nur Anna angegeben habe.

Ja, Schulanmeldungen sind so eine Sache für sich. Da geht die Geburtsurkunde über den Tisch und na klar stehen da nicht nur alle Vornamen von Junior, sondern auch alle meine Vornamen drauf. Und auch auf dem Schreiben von der Stadt, dem Auszug aus dem Sorgerechtsregister, ist mein Name komplett angegeben. Jetzt bin ich im System – mit allen drei Vornamen.

Mein Vater, der schon vor seinem Studium ein Fan der großen amerikanischen Literatur war und seine Magisterarbeit über James Joyce geschrieben hatte, hatte beschlossen: Meine erste Tochter muss den Namen Anna Livia Plurabelle tragen. Denn sie ist nach Joyce das weibliche Prinzip des Universums, die „All-Frau“, alles vereint sich in ihr. So ist Anna Livia Plurabelle nicht nur das berühmteste, meistzitierte Kapitel des unübersetzbarsten aller Bücher, nämlich Finnegans Wake, nein, es ist auch mein Name.

Wenn ich die Wahl habe, dann verschweige ich meine beiden anderen Vornamen, denn Anna ist so schön kurz, unkompliziert, funktioniert in allen Ländern und Sprachen. Die Bedeutung war für mich immer nebensächlich, für mich ist das mein Name und mehr nicht.

Aber wenn ich ihn dann doch mal angeben muss, ganz, dann fühlt sich das oft so an, als wäre es nicht mein Name. Auf meinem Personalausweis stehen natürlich alle Vornamen, passen noch in eine Zeile, das ist gut. Aber bei Bank, Krankenkasse und so weiter bin ich nur Anna Livia, weil das System nicht mehr Platz vorgesehen hatte. Und an der Uni habe ich mich absichtlich nur mit Anna eingeschrieben, das ging auch.

Aber keinen Einfluss hatte ich darauf, als ich selbst aufs Gymnasium kam, 1996, da war es wie jetzt bei Juniors Anmeldung: Ich wurde erfasst mit all meinen Vornamen, Geburtsurkunde und so. Und auf allen Klassenlisten, bis in die Oberstufe, standen dann auch alle Vornamen drauf. Bis auch der letzte Lehrer und die letzte Lehrerin darüber gestolpert war und mich gefragt hatte, woher denn dieser ungewöhnliche Name gekommen war. Ich hatte also sehr, sehr oft die Verbindung zwischen meinem Vater, James Joyce und mir erklärt.

Meine Mitschüler*innen hatten sich vielleicht daran gewöhnt, aber immer wieder gab es Vorstöße, man wolle mich ab jetzt Plurabelle nennen, Tausendschönchen. Was natürlich nicht klappte, denn einerseits gewöhnt man sich sehr daran, eine Person bei ihrem Rufnamen zu nennen, andererseits höre ich nicht auf die anderen Namen. Klar, die sind so außergewöhnlich, dass ich schon merke, dass vermutlich ich gemeint bin. Aber letztlich ist das nicht mein Name, fühlt sich jedenfalls für mich so an. Es ist ne gute Story, aber mehr nicht.

Nun ist es ja allen Eltern freigestellt, was sie ihren Kindern mit auf den Weg geben, schon mit dem Namen. Und vielleicht finden viele Eltern, dass allzu übliche Namen doof sind, denn dann trifft man ständig Menschen, die genauso heißen wie man selbst. Aber ganz ehrlich: Kinder sind grausam. Daher bin ich immer schon skeptisch gewesen, wenn wir in der Kita auf Chrysander, Goldmund oder Leopold trafen. Was die sich in ihren Leben werden anhören müssen, will ich gar nicht wissen.

Mein Sohn hat den in seinem Geburtsjahr meistvergebenen Namen und ich finde ihn perfekt. Er ist kurz, schlicht, funktioniert in allen Ländern und Sprachen. Und er passt zu ihm. Bis jetzt habe ich auch noch keine Kritik von seiner Seite gehört, das passiert ja manchmal, dass Kinder lieber anders heißen würden. Ich hatte das auch mal ne Weile, dass ich lieber eine Katharina oder Laura oder so gewesen wäre, aber letztlich ist Anna doch genau richtig für mich.

Ich werde es jetzt also 8 Jahre lang aushalten, dass ich Post bekomme, adressiert an alle meine Namen. Danach bin ich dann raus aus dem Geschäft und muss nur noch meine eigenen Anmeldungen machen. Und kann entscheiden, einfach nur Anna zu sein. Reicht doch auch, oder?

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