„Ich weiß nur, dass man, wenn man Wort für Wort, Satz für Satz über die Welt schreibt, in der man sich befindet, eine Ahnung von sich selbst bekommt.“ – Ich weiß nicht, zum wievielten Mal ich Doris Dörries Buch „Leben, schreiben, atmen. Eine Einladung zum Schreiben“ (Diogenes 2019) inhaliere, aber immer wieder beeindruckt es mich. Die Leichtigkeit, die Tiefe, die Klarheit und auch die Sprünge, die mich in ihre Welt einladen und gleichzeitig meine Vorstellung von meiner eigenen Welt aktivieren. Ich lese dieses Buch immer mal wieder, schreibe nie die Impulse, nehme ihre Einladung zum Schreiben also nie an. Jedenfalls nicht so, wie es vielleicht gedacht war. In meinem Kopf bilden sich Geschichten und Sätze, Bilder und Gefühle (die vielleicht nicht zuerst im Kopf). Und sie arbeiten weiter in mir, sie atmen.
„Schreiben heißt, die Welt einatmen. Nicht nur die kühle Bergluft am Morgen, auch den Smog, den Rauch, die Abgase. Das Schöne wie das Hässliche.“
Genau so ist auch mein Gefühl zum Schreiben. Ich denke laut, wenn die Stimme in mir etwas zu sagen hat. Ich fühle die Sätze, wenn sie aus mir herausdiffundieren, wenn etwas so sehr freut oder so sehr schmerzt, dass es eine Verpackung braucht, um ertragbar zu werden. Einen Filter, eine Rüstung, ein Gefäß, eine Ummantelung. Das ist nicht nur schön, es ist auch schwer, auch traurig und ja: Auch hässlich.
Ich liebe dieses kleine Buch von Doris Dörrie so sehr, weil es so wunderbar zeigt: Schreiben ist nicht nur Kunst. Es ist Leben. Wenn wir schreibend erkunden, was wir erleben und was wir erinnern, dann ist das einzigartig und beeindruckend. Und es kann ansteckend sein.
Das assoziative Schreiben, das Herantasten an Geschichten, Anekdoten, Bilder aus der Vergangenheit und auch Bewertungen, die aus der schreibenden Perspektive dazukommen – all das führt mich als Leserin in meine eigene Welt, lässt meinen Kopf auf die Suche gehen nach alten Erlebnissen, Geschichten, Gefühlen. Auch den schmerzhaften.
Dann denk ich: Ich müsste wieder anfangen mit Journaling! Alles aus dem Kopf herausschreiben, wie es ja auch im Buch steht. Aber nein, das ist nicht mein Ding, nicht meine Methode, ich habe das doch alles ausprobiert. Mein Schreiben kommt schubweise, nicht tageweise. Und schon gar nicht zu einer bestimmten Zeit am Tag. Nein, ich bin kein Typ für Morgenseiten und Journaling-Prompts, wirklich nicht.
Vielmehr lasse ich mich treiben und anstecken von schöner Sprache, von kleinen Gedanken, um abzutauchen in die hintersten Ecken meines Gedächtnisses. Manchmal mischt sich da ein bisschen Phantasie hinzu, erfundene Dialoge, die in meinem Kopf so echt klingen, als hätte ich sie schon oft gehört, geführt.
Das Tolle am Schreiben ist ja, dass wir alle anders ticken. Unsere Welten sehen unterschiedlich aus, unsere Erinnerungen natürlich auch. Jeder von uns ist einzigartig. So einzigartig darf dann auch das Schreiben sein. Ich kann mit vielen Schreibtipps nichts anfangen, mit coolen Methoden für kreatives Schreiben auch nicht. Daher klingen meine Tipps auch immer wie Einladungen:
„Probier das mal aus und wenn es nicht klappt, mach was anderes. Erforsche dich, erforsche dein Schreiben. Das Einzige, was du dafür tun musst, ist Schreiben.“ Denn schreibend erforschen wir die Welt, entdecken sie neu, finden Worte für das, was wir erleben. Und bekommen eine Ahnung von uns selbst. Danke für die Einladung, liebe Doris Dörrie.
Du kannst mir übrigens einen Kaffee-Regen schenken, wenn dir danach ist. Weil Geben und Nehmen zusammengehören. Meine Kaffeekasse findest du hier.
2 Antworten
Liebe Anna Koschinski,
wunderschön beschrieben. So erlebe ich schreiben auch. Manchmal muss etwas reifen. An anderen Tagen sprudeln die Sätze. Worte machen Unerträgliches ertragbar. Manchmal ringe ich sehr lange um ein einziges Wort. Damit es eine erträgliche Distanz zwischen Leser und dem Schrecklichen legt.
„Ich fühle die Sätze, wenn sie aus mir herausdiffundieren, wenn etwas so sehr freut oder so sehr schmerzt, dass es eine Verpackung braucht, um ertragbar zu werden. Einen Filter, eine Rüstung, ein Gefäß, eine Ummantelung. Das ist nicht nur schön, es ist auch schwer, auch traurig und ja: Auch hässlich.“
Danke für diesen wundervollen Blog.
Liebe Annefried Hahn,
ja, manchmal dauert es länger, bis die „richtige Verpackung“ gefunden ist. Damit es nicht zu sehr schmerzt, für uns selbst und auch für die Leser*innen. Ein bisschen ist gut, aber nicht zu viel. Danke für diese bestätigende Rückmeldung. Ich nehme das sehr gern mit in meine nächste Schreibphase.