Ich laufe durch den Biologie-Flur, es ist so voll, dass man kaum durchkommt. Kleine Pause nur, alle wuseln herum, sind auf dem Weg zu den Räumen für die neue Unterrichtsstunde. Oder sie warten schon darauf, dass endlich aufgeschlossen wird, die Fachräume sind ja immer abgeschlossen. Aber ich laufe durch den Flur, schlage Haken, umrunde kleine Grüppchen von Schülern und Schülerinnen, die da herumstehen, mitten auf dem Flur, bücke mich unter Ellenbogen her, drehe mich quer, um schnell an irgendwem vorbeizukommen. Ich bin 10 oder 11 Jahre alt, will zum Treppenhaus, das hintere, an der Aula vorbei und dann runter zum Hausmeister-Kiosk, wie immer wenn wir Reli-Aufsicht haben. Ich bin klein aber wendig, komme überall durch. Das sagt auch Viktoria, die hinter mir ist, aber deutlich langsamer, irgendwie behäbiger, wie könnte es anders sein, sie ist deutlich größer und breiter als ich. Hinten, im Treppenhaus, holt sie mich ein und sagt den Satz: „Du kommst wirklich überall durch.“ Vielleicht ein symbolischer Satz für meine Zeit am Gymnasium.

Junior und ich sind an diesem Wochenende an meiner alten Schule unterwegs, es ist Tag der offenen Tür. Und ich sehe mich, wie ich mich durch meine 9 Jahre an diesem Gymnasium quäle. Das Gebäude sieht genau so aus wie vor 20 Jahren, es hängen teilweise noch die gleichen Bilder und Kunstdrucke. Die Wände sind etwas dreckiger und grauer, sonst ist alles wie früher.

Ich sehe meine alten Klassenräume und auch ein paar Fachräume, sehe mich am Getränkeautomaten am Kiosk, auf dem Schulhof, wie ich dort meine Runden drehe (der hintere Teil des Schulhofs ist so eine Art Rundkurs, man kann also einfach immer im Kreis laufen und sich unterhalten). Ich sehe mich in der Aula bei verschiedenen Veranstaltungen, zuletzt beim künstlerischen Abend, als ich Sketche spielte. Und natürlich bei der Zeugnisvergabe. Koschinski, mit K, ich kam immer irgendwo in der Mitte, war mittelmäßig, erst unterfordert, dann gelangweilt, dann überfordert, weil ich den Anschluss verpasst hatte. Mittelmaß war das Ergebnis. Obwohl es natürlich alles hätte schlimmer kommen können.

Da sind auch die Momente, in denen wirklich schlimme Dinge passiert sind, wie mir mitten im Unterricht die Tränen kamen, weil ich die Trauer doch nicht ganz zuhause lassen konnte. Momente, in denen ich merkte: Die Menschen, denen ich vertraut hatte, sind mir nicht wohlgesonnen. Entdeckungen über Freundschaft, über Liebe – oder besser Verliebtheit, die schmerzlich waren. Die peinlichen Momente, zum Beispiel als ich bei einer größeren Veranstaltung in der Sporthalle in die falsche Richtung sprang, entgegen der Choreografie, oder als ich bei Referaten tiefrot anlief, weil mir irgendein Begriff nicht einfiel und weil ich es hasste, da vor der Klasse zu stehen.

Hier habe ich so viel Zeit verbracht, wurde auch mal zum Rektor zitiert, es gab „Einladungen“ zu Gesprächen mit der Vertrauenslehrerin. Diese Zeit war nicht gut, ich frage mich immer, wie man es schaffen kann, seine Schulzeit in guter Erinnerung zu behalten. Vieles habe ich aber auch vergessen oder verdrängt, ich suche mich auf den Bildern, auf denen die gesamte Schülerschaft auf dem Schulhof versammelt ist und kann mich nicht finden. Dabei weiß ich, dass ich da irgendwo sein muss.

Als jetzt all diese Eindrücke und Erinnerungen auf mich einprasseln, vermischen sich Vergangenheit und Gegenwart. Junior läuft begeistert durch die Gänge, turnt in der hübschen neuen Sporthalle herum (das Einzige, das neu ist an der Schule seit ich 2005 mein Abi gemacht habe). Er findet alle nett und sogar das Gebäude schön. Verrückt.

Jetzt überlagern sich meine schlechten Erfahrungen, ich kann mir nicht vorstellen, dass das hier für Junior die richtige Schule ist. Aber das ist natürlich Quatsch. Er muss seine eigenen Erfahrungen machen, seine eigenen 8 oder 9 Jahre Gymnasium befüllen. Ich muss mich also wohl zusammenreißen und meine eigenen Gedanken wegschieben, wenn wir jetzt über den Dezember die Entscheidung für seine weiterführende Schule treffen. Gar nicht so einfach.

Ich bin gespannt, welche Kriterien für Junior ausschlaggebend sind und wie wir uns dann einigen können. Denn eins weiß ich: Die Sporthalle und die nette Kunstlehrerin können nicht alles sein, wenn es darum geht, den passenden Ort für etwa 9 Jahre seines Lebens zu wählen. Nostalgische Gedanken aber auch nicht. Und gefärbte Erinnerungen sicher auch nicht.

Ich komme jetzt langsam zurück in die Gegenwart, aber es ist schon Wahnsinn, was da alles wieder hochkommt, nur durch dieses Gebäude und eine Idee vom Schulbetrieb, wie ich ihn so lange überlebt habe.

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