Andere Menschen würden verrückt werden. Ich zähle nach. Es sind genau 80 Tabs, die mir in meinem Browserfenster entgegenstarren. Sie starren mich an, die kleinen Zeichen, Favicons, mehr ist nicht zu sehen bei dieser Menge Tabs. Wann habe ich das letzte Mal gesehen, wie breit ein Tab angezeigt wird, wenn es genug Platz gibt? In diesem Fenster sicher seit Monaten nicht mehr. Oder Jahren? Ich starre auf die Zeichen und entdecke vier Tabs, hinter der meine eigene Seite steckt. Warum hatte ich diese Tabs offen gelassen? Sicher ein guter Gedanke, ein To-do, das ich noch erledigen, ein Artikel, den ich noch einmal überarbeiten wollte.

Apropos Artikel: Da ist meine Recherche zum Thema Corporate Language, zwei Texte, die ich spannend fand. Oh, und da ist das Rezept für Falafel aus Kichererbsenmehl – „schnell und günstig“. Das wollte ich doch noch ausprobieren. Ein Workout, mein Buchhaltungsprogramm, eine Rezension zu einem Buch, das ich interessant fand. Ich habe es nicht gekauft, mache ich bestimmt noch, nur nicht heute. Kundenwebsites, Online-Magazine, Bildergalerien. Die Bilder, die ich doch schon längst heruntergeladen hatte. Aber sie sind noch online, ein gutes Gefühl.

Ich zähle die großen G’s. Diese bunten. Will ich wissen, wieso ich diese Suchen nicht geschlossen habe? Etwas wollte ich mir sicher merken, noch mal anschauen, vertiefen. Denn man weiß ja nie, ob man diese Suche wiederholen kann. Vielleicht war mir dabei ein neuer, cleverer Gedanke gekommen. Sicher, so muss es gewesen sein. Ich schaue nicht nach.

Ein Sportartikelversand. Da wollte ich Schuhe kaufen, habe es aber nicht gemacht. Und ein Onlinehändler, der mit dieser Lampe, davon hatte mir eine Freundin erzählt. Total toll für den Balkon! Aber ich habe gar keinen Balkon. Die Wanderroute, die man vom Bahnhof aus laufen kann. Wollten wir das nicht schon letztes Jahr machen? Ein Zitat von Einstein, das mit der Intuition. Wofür hatte ich das gebraucht? Eine Wortsuche im Duden: Pleonexie. Ein interessanter Begriff. Der Drang, trotz mangelnder Sachkenntnisse überall mitreden zu müssen. Darüber könnte ich mal schreiben.

Social Media. Das ist selten geöffnet, eher auf dem Smartphone. Ah, wie viele Tabs habe ich dort wohl geöffnet?

Was entginge mir wohl, wenn ich all diese Tabs einfach schließen würde? Manchmal passiert mir das aus Versehen, dann stelle ich sie schnell wieder her. Ein aufgeräumter Browser, das ist nichts für mich. Ich könnte auch einfach alle als Lesezeichen speichern, aber das ist nicht das gleiche. Da sind sie aus den Augen – also aus dem Sinn. Aus dem Kopf. Wie leer mein Kopf dann wäre, verrückt. Wie machen das eigentlich andere Menschen? Sie sind vielleicht radikaler, besser im Löschen, im Vergessen. Mein Kopf ist voll.

Wer wäre ich denn ohne all meine Projekte, Ideen und Fragen an die Welt? Ohne meine Tools und meine Mails? Meine Einkaufslisten und Recherchen? Nein, diese Tabs zu schließen, wäre wie den Verlauf zu löschen. Das ist doch mein Leben. Mein digitales Leben. Mein Leben in 80 Tabs. Ich klicke auf das Rezept für Bananenbrot. Mit Walnüssen. Keine schlechte Wahl.

Dieser Text ist für Peter. Danke für den Impuls und unsere Gespräche – danke für den Titel.

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