Es gibt diese Menschen, die anscheinend nichts zu tun haben und sich (deswegen?) in anderer Leute Angelegenheiten einmischen. Kleiner Spoiler: Ich mag die nicht. In der vergangenen Wochen habe ich Deborah Levys Roman „Was das Leben kostet“ gelesen, und darin beschreibt sie eine solche Person. Eine Nachbarin, die anderer Leute Leben kommentiert, darauf achtet, dass die (oft unsinnigen) Hausregeln eingehalten werden und dass sich ja keiner gut aufgehoben fühlt, vor allem dann, wenn er ein etwas anderes Leben führt als das „normale Menschen“ (also die glücklichen) eben tun.

Und dann sind da dieser Satz und dieser Ausdruck, der mich ins Grübeln bringt, der etwas anstößt in mir: Hysterisch glücklich. Besonders krass in der Gegenüberstellung „hysterisch glücklich – stumm unglücklich“:

Einmal, als ich hastig meine Sachen ablud, trat Jean wie eine Erscheinung hinter dem Baum hervor. „Ah“, sagte sie, „immer in Eile, wie? Emsig, emsig, die ganze Zeit.“ Sie selber hatte endlos Zeit. Sie war hysterisch glücklich und ich stumm unglücklich. Während sie dastand und mir zusah, wie ich sechs Taschen stemmte, riss meine Perlenhalskette und fiel zu Boden, und die Perlen stoben prasselnd auseinander und rollten auf Jeans festes Schuhwerk zu. „Ach, du meine Güte!“ Ihre sich öffnenden Lippen offenbarten eine Fülle weißer Zähnchen. „Dienstag ist nicht Ihr Tag, oder?“

Aus: Was das Leben kostet (Deborah Levy). Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2019.

Es gibt ja auch diese Leute, die behaupten, wer nicht glücklich ist, der habe einfach die falschen Entscheidungen getroffen, denn wir wissen ja: Jeder ist seines Glückes Schmied. Klar, wir sind alle selbst verantwortlich für unser Glück und daher auch für unser Unglück – zumindest sollen wir das glauben.

Dann kommen wir aber auch schnell zum Thema Chancengleichheit. Denn nein, so sehr das einige Leute auch glauben mögen, die haben wir nicht.

Wir können auch nicht immer glücklich sein, auch nicht die Jeans dieser Welt. Und da setzte sich bei mir dieser Ausdruck fest „hysterisch glücklich“.

Letztlich geht es wieder um Geschichten, glaube ich. Wir können unsere eigene Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln und in verschiedenen Fassungen erzählen – auch uns selbst gegenüber. Ich kann mir also jeden Tag erzählen, wie unfassbar glücklich ich bin und mich gleichzeitig darin bestärken, indem ich anderer Leute Unglück betrachte. Wundervoll.

Ich kenne auch solche Menschen, die hysterisch glücklich sind – auch wenn sie unglücklich sind. Die das auch jedem zeigen müssen, ganz besonders denen, die (gerade) nicht in diesem Zustand sind. Unangenehm.

In meinem Leben ist Platz für beides, Glück und Unglück – nicht hysterisch allerdings. Das eine ist nicht fassbar ohne das andere. Und klar, wäre ich immer hysterisch glücklich, bräuchte ich auch das Unglück anderer, um mir selbst zu beweisen, wie gut es mir geht. Wie wäre es denn, wenn beide Zustände okay sind und wir achtsam durch die Welt laufen, um die zu stärken, die gerade nicht so viel Glück haben? Es braucht gar nicht viel dafür, man müsste nur anfangen.

Heute schon glücklich gewesen?

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Ein Kommentar

  1. Liebe Anna,

    das ist ein sehr interessanter Beitrag zu einem spannenden Zitat. Vielleicht sollte ich mir das Buch mal genauer anschauen?

    Ich bin tatsächlich manchmal „hysterisch glücklich“, aber das ist dann nicht unbedingt „gesund glücklich“, wenn du weißt, was ich meine. Ansonsten bevorzuge ich es, stumm glücklich zu sein, wenn ich mal das Glück habe, glücklich zu sein (was für ein Satz!).

    Glück muss ja gar nicht immer ein großes, überwältigendes, allumfassendes Gefühl sein. Es kann ja auch einfach nur ein kleiner Moment sein, in dem ich voller Freude entdecke, dass die Forsythien im Garten meines Nachbars schon blühen (wobei man hierbei überlegen muss, ob man darüber wirklich glücklich sein sollte, wenn das bereits Ende Februar der Fall ist. Aber das ist wieder ein anderes Thema.)

    Was ich damit sagen will: Das kleine Glück sollte nicht unterschätzt werden. Insbesondere dann, wenn das Leben insgesamt gerade nicht so glücklich ist (wo wir wieder beim Thema Chancengleichheit wären).

    Ich mag deinen Blog übrigens sehr, liebe Anna, und lese meist stumm glücklich mit. Ich hab sogar seinen RSS-Feed abonniert (jaaa, ich habe noch einen RSS-Feed-Reader haha).

    Es grüßt dich
    deine Mim

    PS: Wow, ich habe in diesem Kommentar so oft das Wort „glücklich“ verwendet, dass meine alte Deutschlehrerin vor Wortwiederholungen den Koller kriegen würde.

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