In meiner Kindheit gab es einige Szenen, die ich nicht verstanden habe. Und heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich einfach nur nicht genauer nachgefragt oder lediglich keine gute Antwort auf die Fragen bekommen habe. Es gab diese Szene, als wir nach einem Wochenende bei unserem Vater nach Hause wollten, aber wir konnten das Auto nicht nehmen, weil es gesperrt war. Ich weiß nicht mehr, ob die Sperre am Rad oder am Lenkrad war, da verschwimmt meine Erinnerung. Nur dass wir nicht mehr fahren konnten. Und ich verstand nicht, wieso.

Dass es dabei um Geld ging, verstand ich nicht. Dass es für meinen Vater nicht so überraschend kam wie für uns Kinder, verstand ich nicht. Dass es für meine Mutter, die uns dann abholen musste, auch nicht so überraschend war, verstand ich genauso wenig.

Es gab immer wieder Streit um Geld in der Familie. Zwischen meinen Eltern, aber auch zwischen meinem Vater und seinen Eltern, die ihm etwas geliehen und ihn dann enterbt hatten. Dieses Thema hing immer irgendwo in einer Ecke herum bei uns, nicht deutlich vielleicht, aber doch immer wahrnehmbar. Und ich als jüngstes Familienmitglied bekam das vermutlich noch am wenigsten mit.

Ich mag das Thema Geld nicht, vielleicht deswegen, weil es immer eins war, das im Zweifel auch ernst wurde. Ich habe keine Ahnung, wie alt ich war, als ich meine Mutter fragte, ob wir arm seien. Das kommt mir im Rückblick logisch vor, aber natürlich nur aus meiner Perspektive. Denn wir hatten immer das Nötigste, danach mussten wir nie fragen. Und ich hatte nie das Gefühl von Unsicherheit, was das betraf. Aber es reichte auch eben nicht für mehr, das spürte ich schon deutlich. Ich, die ich noch lange Zeit auch auf dem Gymnasium die alten Klamotten meiner Brüder auftrug und selten mit den Trends mitging, einfach weil es Wichtigeres gab, das gekauft werden musste.

Wenn ich Dinge wegwerfen soll, spüre ich meine Erfahrungen diesbezüglich am meisten. Es gab eine Zeit, wenn man da in meinen Badezimmer-Schrank geschaut hätte, hätte man etwa fünf fast leere Zahnpasta-Tuben gesehen. Fast leer, weil sie so leer waren, dass ich nichts mehr rausbekam wenn ich draufdrückte. Aber ich wusste: Würde mein Freund draufdrücken, dann würde es noch für einmal Zähneputzen reichen. Ich mochte diese Tuben nicht wegwerfen, obwohl ich mir natürlich immer ausreichend Zahnpasta leisten konnte.

So verrückt werden Leute, wenn sie eine Zeit lang in ihrem Leben das Gefühl von wenig hatten. Was das für Menschen bedeutet, die über einen längeren Zeitraum dieses Gefühl haben oder aber das Gefühl von zu wenig, das mag ich mir gar nicht vorstellen.

Menschen reden nicht über Geld, das erschließt sich mir überhaupt nicht. Es wäre doch total sinnvoll darüber zu sprechen, wie viel man zur Verfügung hat und wie viel man eigentlich bräuchte. Dann wäre es viel leichter, das Geld sinnvoll zu verteilen. Hat jemand gerade Sorgen, könnte er sich an einen Freund oder eine Freundin wenden, die gerade keine Sorgen hat. Und zwar bevor alles ganz schlimm wird und Autos nicht mehr fahren.

So habe ich mir das früher immer vorgestellt. Geld sollte da hin, wo es gebraucht wird. Sodass sich alle sicher fühlen können. Aber es scheint, dass das ein kindlicher Gedanke ist, dem sich die meisten Menschen nicht anschließen können oder wollen. Nein, man redet nicht über Geld. Man sitzt darauf und rühmt sich damit, wie frei es uns macht und wie gut es uns schlafen lässt.

Mich übrigens nicht. Ich habe nichts übrig für Statussymbole und Lifestyle, der etwas mit Luxus zu tun hat. Luxus ist für mich viel eher Zeit und diese kleine Freude, einen Urlaub machen zu können, den ich so gut recherchiert habe, dass er mich nur wenig kostet.

Das Traurige ist: Wenn ich darüber spreche oder schreibe, dann kommt häufig der Vorwurf, ich sei ja nur neidisch. Dabei geht es mir gar nicht darum, das eine hochzujubeln und das andere zu tadeln. Es darf alles sein, solange genug da ist. Aber das ist es eben nicht für alle und da beginnt mein Problem mit dem Thema. Es ist nicht so, dass alle, die zu wenig haben, einfach nur faul und dumm sind. Dass sie nicht den richtigen Job gewählt oder die richtigen Entscheidungen getroffen haben. Es stimmt einfach nicht, dass wir alle die gleichen Startbedingungen haben (und auch im weiteren Verlauf des Lebens unterscheiden sich die Bedingungen enorm).

Mir wurde schon so oft vorgeworfen, ich hätte mir das Allererziehenden-Dasein ja ausgesucht, ich solle mich nicht beschweren. Und ich hatte mir ja auch den Partner, der nicht helfen und das erste Jahr auch nicht zahlen wollte, ausgesucht. Und dass ich so dumm war, während des Studiums schwanger zu werden – alles meine Fehler, meine Verantwortung. Nun ja. Bedenken wir die Alternativen, dann wird es doch klar, warum alles so gelaufen ist wie es eben war. Leben passiert. Und wir machen das für uns Beste daraus.

Es ist übrigens ein bisschen verrückt, aber mir wird heute immer noch gern Neid unterstellt, wenn ich auf die ungleichen Chancen aufmerksam mache. Dabei bin ich ja heute längst nicht mehr in der Situation, dass ich nicht weiß, wie ich Schuhe oder Hosen bezahlen soll. Auch die kaputte Waschmaschine schockt mich nicht, genauso wenig der Rückzahlungs-Bescheid vom BAföG-Amt.

Jetzt zu Weihnachten reden die Menschen gern über Liebe und Nächstenliebe und christliche Werte. Aber über die Kinder, bei denen das Thema Geld immer in der Ecke herumhängt, redet man nicht. Da ist es vielleicht nett, wenn die ein hübsches Geschenk zum Fest bekommen (ja, jede kleine Geste hilft), aber das ändert nichts an ihrem Grundgefühl, das sie später immer mit sich tragen werden. Auch dann noch, wenn sie sich längst aus der elterlichen zu-wenig-Situation herausgearbeitet haben.

Weihnachten bedeutet auch Familie. Und familiäres Erbe. Bei mir geht es immer noch um Geld zum Fest. Und um das zu wenig. Wir hatten Geschenke unter dem Baum und ein tolles Essen, aber nur eine Zeit lang. Irgendwann vor den Krallen am Auto. Als die Welt noch intakt war. Heute ist meine Welt wieder ziemlich intakt, aber dennoch hängt das Thema in einer Ecke rum – gerade zum Fest. Denn bei anderen ist das Thema größer geworden und das geht an meinem Schlaf nicht spurlos vorbei.

Heute von mir also nur äußerst nachdenkliche Wünsche zum Fest. Was für eine Welt. Und über die Menschen, die wirklich nichts haben, habe ich noch gar nicht gesprochen…

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