Eine Freundin schreibt mir: „Hast du die Tage Zeit und Lust auf einen Spaziergang?“ Ich schlucke, denn eigentlich habe ich keine. Die Liste an To-dos ist lang, meine „Freizeit“ ohne Junior rar, obwohl ja wieder Schule ist. Aber sagen wir es doch, wie es ist: Wenn man will, findet man Zeit. Man nimmt sie sich halt. Auch ich. Alles eine Frage der Prioritäten. Was ist ein fertiger Text gegen eine schöne Runde und ein gutes Gespräch mit der Freundin? Eben.

Abgesehen davon, dass ich es nur richtig finde, mir Zeit für meine Lieben zu nehmen, weiß ich, dass es dieser Freundin oft nicht so gut geht. Letztens hatte ich schon festgestellt, dass sich die Fälle on Burnout und Despression in meinem Bekannten- und Freundeskreis häufen. Ich habe das Gefühl, viele haben sich wacker gehalten und klappen jetzt zusammen.

Vor knapp zwei Wochen war ich auch mit einer Freundin unterwegs, die schon seit ein paar Wochen krankgeschrieben ist – Depression. Sie hatte es mir erst spät erzählt, hatte ihre Zeit gebraucht, bis sie mich einweihen konnte und sicher genug fühlte, mit mir eine Runde durch die Stadt zu drehen.

Ich bin froh, dass sie es mir erzählt hat, mit allem, was dazugehört. Ich fühlte mich zwar hilflos und wusste nicht, wie genau ich am besten reagieren sollte, aber ich habe mich einfach darauf verlassen, dass ich die richtigen Worte finden werde. Was ich fand, waren wenig Worte, denn ich hatte den Eindruck, meine Ohren waren viel wichtiger.

Zuhören und das Signal: Ich bin da

Ich kann nichts tun außer da sein. Das war mein Fazit nach diesem Spaziergang. Erst hatte ich das Gefühl, ich müsste doch mehr machen, müsste helfen, müsste irgendetwas machen – aber das ist natürlich Quatsch. Man kann nur so viel tun wie gewünscht ist. Ich hatte das Gefühl, dass das Reden ihr gut tat, daher hörte ich hauptsächlich zu.

Das ist dann also das, was ich tun kann. Mit einem oder zwei offenen Ohren da sein und das Erzählte ernst nehmen, die Person ernst nehmen, Verständnis zeigen. Und eben nicht kommentieren und werten.

Die Freundin erzählte mir davon, wie sie Mitglieder ihrer Familie in die Situation eingeweiht hatte und als Reaktion kam so etwas wie: „Das musste ja so kommen.“ Fürchterlich, finde ich. Wie können Menschen nur so unsensibel und unempathisch sein!

Du störst nicht! Bitte melde dich, wenn du etwas brauchst

Wem hilft denn bitte eine Feststellung, dass man es ja hat kommen sehen und Kassandra-mäßig gewarnt hatte? Genau, niemandem. Eine derartige Wertung steht niemandem zu.

Als wir uns verabschiedeten, hatte ich ihr gesagt, dass sie bitte keine Hemmungen haben soll, mich anzuschreiben oder anzurufen. Auch ein Grund, warum ich der anderen Freundin Platz in meinem Terminkalender freigeschaufelt habe. Ich möchte ein Signal senden und nicht nur leere Worte.

Wenn es da gerade Menschen gibt, denen es gut tut, mich zu sprechen, dann mache ich das möglich. Zumindest solange ich es kann – denn klar, unbegrenzt Ressourcen habe ich auch nicht. Aber die Ohren, die habe ich.

Und die Verbindung, die wir haben, erlaubt es mir, auch Scherze zu machen, ein bisschen herumzublödeln. Der Freundin, die ich letztens getroffen hatte, hat das geholfen. Sie meinte zum Abschied zu mir:

„Verrückt, ich hab heut dreimal gelacht.“

War wohl ein guter Tag. Und wenn ich dafür sorgen kann, dass ein Tag gut wird und wenn es nur dieser eine ist, dann ist doch schon viel gewonnen.

Es braucht nicht viele Worte, nur ein bisschen Zeit. Die kann man sich nehmen, alles eine Frage der Prioritäten. Und man kann da sein, wenn’s drauf ankommt.

Postkarte liegt auf einem Tisch. Motiv: Eine Zeichnung von einem Esel und einem Vogel, die sich umarmen. Der Vogel steht dabei auf einem kleinen Hocker. Darüber der Text: "You are blessing. Because you are here."

2 Antworten

    • Ist eben eine bewusste Entscheidung. Weil es viel leichter ist, zu sagen, man habe keine Zeit… Ich denke, wir sollten laufend darüber nachdenken, wo unsere Prioritäten liegen, damit wir in solchen Situationen gut reagieren können. Denn Menschen sind doch das, was wirklich wichtig ist…

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