Es ist kurz nach neun, Junior hat sich ins Bett verabschiedet, die Spülmaschine läuft noch ein Weilchen, denn das Öko-Programm braucht ja immer über drei Stunden, bis es fertig ist. Ich mag das Geräusch, es beruhigt mich auf gewisse Weise. Heute ist die 39. Blognacht und es haben sich wieder etwa 15 Schreibende versammelt, um an ihren Texten zu arbeiten. Im vergangenen Jahr hatte ich mich an so vielen Stellen blockiert gefühlt. Da stimmte eine Zeit lang nichts mehr. Vielleicht habe ich deswegen heute gerade diesen Impuls ausgewählt: „Plötzlich war es ganz einfach“

Alles war anders. Das war nicht die Uni, nicht meine Kommilitonen oder meine Studentinnen. Mein Herz klopfte so laut, dass ich dachte, man könnte es hören oder sogar sehen, wie es da gegen meine Rippen trommelte. 10 Männer irgendwo zwischen 40 und 55 schauten mich an und ich wusste: Ich musste jetzt was sagen, denn diese Männer wollten von mir lernen, wie sie in Zukunft ausdauernder sein könnten. Beim Sprechen. Bei ihren Präsentationen. Ich würde also mit dieser Gruppe atmen. Und Artikulations-Übungen machen. Ich war Anfang 30 und das hier war mein erstes Training außerhalb des Universitäts-Kontexts. Freie Wirtschaft, man hatte mich zu einem Tagessatz eingekauft und ich sollte jetzt dieses Sprechtraining geben. Alle Teilnehmer waren da, ich hatte meine Präsentation gestartet, alles war vorbereitet. Und mir zitterten die Knie.

Erste Male

Ich weiß nicht, ob du das kennst, wenn du etwas schon mehrfach gemacht hast, dir auch sicher bist wie es läuft, jedenfalls in dem Kontext, in dem du bis jetzt gearbeitet hast.

Bloggen für ein bestimmtes Blogprojekt ist am Anfang immer aufregend, je länger die Kooperation aber andauert, umso leichter wird alles. Weniger Kommunikation, klarere Kommunikation, leichtere Auswahl der Themen, Abstimmungen sind sehr schnell erledigt. Meine Text-Arbeit geht dann auch schneller, denn ich kenne Zielgruppe, Sprache und Stil, brauche mich nicht mehr einzuarbeiten.

Bei Trainings ist das auch so: Ein Sprechtraining für meinen eigenen Radio-Sender? Kein Problem. Einmal konzipiert, dann wieder und wieder durchgeführt. Eine Schulung für zukünftige Chefs vom Dienst? Ein Moderationstraining? Ein Workshop zum Thema Feedback geben und nehmen? Alles ganz einfach, ich kenne meine Themen und liebe es, das Ganze in Tages- oder Wochenend-Schulungen zu packen.

Aber dann kam auf einmal diese Anfrage dieser großen, wirklich großen (!) Firma. 20 Standorte in Deutschland, weltweit aktiv. Und ich war noch so klein, ganz am Anfang. Dieses Training fühlte sich auf einmal an wie meine mündliche Abitur-Prüfung, bloß kein Blackout jetzt, dachte ich noch.

Erwartungen und Realität

Ich wusste also, dass diese Männer alle im Vertrieb dieser großen Firma arbeiteten, ständig unterwegs waren und auch an diesem Morgen schon von wer weiß wo angereist waren, um hier an meinem Training teilzunehmen. Alles fühlte sich so offiziell an. Ich war zwar sicher in meinem Thema, aber das hier war so neu und ungewohnt. Ich dachte, alles würde furchtbar in die Hose gehen.

Und dann hörte ich diese Worte, die alles veränderten: „Ach so, übrigens, wir kennen uns alle schon ewig und duzen uns hier, geht das klar für dich? Ich bin übrigens Holger.“ (Holger hieß natürlich anders, aber er hätte auch Holger heißen können.)

In diesem Moment fühlte es sich an, als hätte sich der Raum verändert, er war freundlicher geworden. Und die Menschen erst: Klingt vielleicht total bescheuert, aber durch diese Einladung zum Du hatte ich auf einmal den Eindruck, dass da wirklich Menschen vor mir stehen. Und zwar Menschen, die keine Ahnung haben von meinem Thema, ich aber wohl. Und ich verstand auch: Das waren keine offiziellen Gestalten, die da ihre Zeit absitzen, sondern die wollten nen schönen Tag haben und was lernen.

Ich fand in meine Rolle. Erklärte, machte Übungen vor, unterstützte beim Ausprobieren. Stellte Fragen, diskutierte, regte zum Nachdenken an. Ich atmete. Mit 10 Männern, die alle mindestens 10 Jahre älter waren als ich. Atmen in die Brust, in den Bauch, in die Flanken. Wenn man das richtig macht, kann man übrigens nicht mehr den Bauch einziehen, das haben die Herren auch gemerkt.

Aber es war trotzdem gut. Nachdem ich herausgefunden hatte, dass da Menschen vor mir stehen, war plötzlich alles ganz einfach.

In großen Firmen arbeiten auch nur Menschen

Ich zog dieses Sprechtraining durch. Mit laut schreien, mit Atemübungen, mit Aufwärm-Übungen für den kompletten Sprechapparat. Und das war aufregend, aber einfach. Denn ich hatte gleich zu Beginn angemerkt:

„Sprechtraining sieht scheiße aus, fühlt sich aber geil an.“

Und als ich am Ende noch um Feedback bat, bekam ich 10 sehr offene, respektvolle und wertschätzende Stimmen. Klar und deutlich übrigens. Alle Resonanzräume genutzt, trotz Bauch-raus-Modus.

Ein richtig guter Tag für mich und perfekt fürs Selbstbewusstsein: Ich kann nicht nur Uni und kleine Radio-Redaktion, ich kann auch freie Wirtschaft. Yay!

Warst du auch mal irgendwo blockiert und dann platzte der Knoten und es war plötzlich ganz leicht?

Du kannst mir übrigens einen Kaffee-Regen schenken, wenn dir danach ist. Weil Geben und Nehmen zusammengehören. Meine Kaffeekasse findest du hier.

5 Antworten

  1. Super Anna!
    Ich saß beim Lesen in meinem Sessel so: lachend, schmunzelnd, nickend … ja, diese Erfahrungen habe ich so auch schon gemacht. Meistens biete ich das DU an und mittlerweile ist das auch in den traditionellsten, hierarchischsten (was für ein Wort) Konzernen angekommen. Oft sehe ich dann ein Aufatmen und die 10 bis 12 Männer sind voll dabei. Und outen sich sogar zu ihrem Stress, ihren wunden Punkten, ihrer Verletzlichkeit.

    Und last but not least: Genau dieses Training, das du da angeboten hast, das würde ich gerade gerne buchen wollen 😉

    Vielen Dank für den Schreibimpuls in der #blognacht!

    Liebe Grüße
    Sandra

    • Liebe Sandra,

      dieses Training bieten andere besser an, denk ich. Ich mache ja eigentlich gar nichts mehr mit Stimmtraining und Moderation und so. Aber es wie mit so vielem: Ich kann es und wenn es jemand anfragt, dann denk ich drüber nach, ob und wie ich es umsetze 🙂

      Ich glaub, dieser Respekt vor dem „großen Konzern“ und mein Gefühl von „ich bin so ein kleines Licht“ haben es mir da wirklich schwer gemacht. Aber das würde ich heute ganz anders angehen. Auch schon das Verkaufsgespräch – ich würde ganz anders verhandeln. Aber letztlich sind das eben die Erfahrungen, an denen wir wachsen. Und geblieben ist: Es darf auch ganz einfach sein. Und das ist ganz wundervoll!

      Bis bald und liebe Grüße
      Anna

  2. Die Aufregung und Nervosität vor Gruppen zu stehen, kenne ich allzu gut. Trainings, Workshops und Moderationen sind meine Leidenschaft. Während Trainings eher ein reines Abspulen sind, stellen die beiden anderen typen eine Herausforderung dar. Die Aufregung ist groß. Bis ICH zum ersten Mal Mensch sein darf und mich „bewusst“ zum „Affen“ mache und zugebe, dass ich von den diskutierten Themen meist „so viel Ahnung habe, wie eine Tüte Mücken“. Erstaunlicher Weise schafft dies Nähe zu den Teilnehmern; und Vertrauen. Vertrauen in ihre Expertise und in meine Menschlichkeit. Bis dahin ist jedoch nichts einfach. 🙂

    • Hallo Sebastian,
      ja das stimmt schon, dass Trainings am klarsten vordefiniert sind, aber auch da kann man anpassen und schauen, was die Gruppe gerade braucht und wie man das am besten unterbringt. Aber ist vielleicht auch Definitionssache, inwieweit ein solches Training dann schon Workshop ist, wenn die an den Inhalten mitarbeiten… Was du aber sagst mit „mich zum Affen machen“, das kann ich nur unterschreiben. Zeigen, dass wir alle Menschen sind, dass wir alle auch mal danebenliegen können – das gibt den TN auch gute Gefühle und nimmt die Hürde, dass da einer nur von oben herab sein Programm abspult. Man ist gleich eher auf Augenhöhe unterwegs – als Menschen eben 🙂

      Danke für deine Ergänzungen und bis bald
      Anna

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