Eine aufstrebende junge Autorin arbeitet an ihrem nächsten Roman. Viele Themen scheinen noch offen zu sein, sie ist nicht fokussiert. Um sich zu sammeln und neue kreative Kraft zu schöpfen, zieht sie zum Schreiben in das Haus einer verstorbenen Schriftstellerin, deren Texte für sie inspirierend sind. Dort soll der künstlerische Geist ihre eigene Kreativität neu entfachen. Doch ihr erscheint nicht nur der Geist der Kreativität, sondern auch der Geist der verstorbenen Schriftstellerin selbst.
Wie auch immer man das nun finden mag, diese Sache mit dem künstlerischen Geist und der Inspiration, es ist doch gern genutzter Stoff. Schriftsteller mit Schreibblockade auf der Spur ihrer Idole. Da entsteht eine Verbindung zwischen dem inspirierenden, aber leider verstorbenen Autor und dem blockierten Talent.
In den vergangenen Wochen begegnete mir dieser Stoff wieder mal, nämlich in der Serie „Modern Love Amsterdam“. Welche Themen da nun genau bearbeitet werden, kannst du gern selbst erforschen, mir ging es aber gar nicht so sehr darum.
Egal wie – Hauptsache Rausch?
Beschäftigt hat mich die Darstellung der künstlerischen Szene, auf die die junge, aufstrebende Autorin stößt. Ob nun Geister oder nicht, auf jeden Fall wilde Partys, Alkohol, laute Musik, Rausch.
Das ist ja nun auch nichts Neues. Was Goethe und Schiller in Auerbachs Keller getrieben haben oder wie Picasso oder van Gogh Ende des 19. Jahrhunderts Montmartre unsicher gemacht haben, sind ja nur zwei der berühmteren Beispiele. Künstler aller Herren Länder haben wohl immer schon versucht, andere Bewusstseinszustände zu erreichen, um ihr künstlerisches Schaffen anzutreiben. Und ob die das nun durch Absinth oder anderen Alkohol oder bewusstseinserweiternde Drogen zu erreichen suchten, ist eigentlich egal.
Klarheit und Kreativität – eine gute Kombi?
Ich habe darüber nachgedacht, wann ich solche ausschweifenden kreativen Schübe hatte. An deren Ende extreme, nicht klare, nicht mal unbedingt ästhetische Kunst stand. Das waren Zeiten, in denen ich sehr, sehr glücklich war oder sehr, sehr wütend.
Was gar nicht viele wissen: In meiner Pubertät habe ich angefangen, meinen ersten Roman zu schreiben. Da ging es um große Gefühle und darum, meine eigene Ausdrucksform zu finden. Außerdem habe ich gemalt. Groß, bunt, düster, ohne Technik, aber mit viel Freude daran, neue Seiten an mir und meiner „Kunst“ zu entdecken.
Was ich nie gemacht habe: Getrunken und gemalt, beziehungsweise getrunken und geschrieben. Ich habe zwar damals noch Alkohol getrunken, aber in Kombination war das nichts für mich. Ich erlebte vielleicht die großen Emotionen auch unter dem Einfluss von Alkohol, aber Kunst, so wie ich sie verstand und auch heute noch verstehe, entsteht bei mir in Phasen der Klarheit.
Kunst kann auf vielen verschiedenen Wegen entstehen, Inspiration und Kreativität können wir auf genauso viele verschiedene Weisen finden. Trotzdem spannend, diese Gedanken. Das Wilde, Ungezügelte. Der Rausch, die Exzesse. Vielleicht braucht es manchmal die Extreme, um Besonderes, Neues zu erschaffen.
Vielleicht braucht es aber auch nur die passende Dosierung Klarheit.
Wie ist das bei dir? Rausch? Exzess? Wilde Partys? Oder zumindest wilde Gedanken? – Braucht es das Extreme, um Außergewöhnliches zu schaffen?
PS: In der Serie Modern Love übrigens hat die junge aufstrebende Autorin ihr Werk vollendet – und die Geister verschwanden wieder.
3 Antworten
Legt die Frage, ob Außergewöhnliches das Extreme benötige, nicht bereits die Antwort nahe? Außer-gewöhnlich = jenseits des Vertrauten, des Bekannten, des Normalen. Ich habe bei Google mal „extrem“ eingegeben, um zu schauen, welche Definitionen und Synonyme mir so angeboten werden. Alltagssprachliches Verständnis ist für mich nie der Maßstab, aber eine erste Annäherung.
Extremes ist relational: Was für mich extrem ist, kann für dich beispielsweise nicht der Rede wert sein, und umgekehrt. Dort liegt auch die Brücke zur Kunst, bei der es (für mich) darum geht, die Welt anders zu beobachten und zu beschreiben – in welcher Form auch immer: malend, komponierend, formulierend etc. –, ohne gleichzeitig die Anschlussfähigkeit für andere zu verlieren. Deshalb giert Kunst auch so nach Neuem, Andersartigem – das immer nur im Vergleich zum Alten, Bisherigen sichtbar und die Abweichung im Auge der Betrachtenden liegt.
„Aus dem Rahmen fallend“ und „ausgefallen“ fand ich daher als alternative Vorschläge für extrem einsichtiger als „bis an die äußerste Grenze gehend“. Rausch und Exzess sind bloß Versuche, immer wieder aus dem Rahmen des Vertrauten zu fallen. Das Blöde ist nur, dass wenn dies zur Gewohnheit wird, es natürlich nicht mehr so recht funktioniert. Abnutzungseffekte.
Klarheit sehe ich nicht als Gegensatz zu Rausch. Vielleicht entsteht sogar im berauschenden Moment die größte Eindeutigkeit, der Durchblick für einen selbst – die Dinge mit anderen Augen zu sehen, wo es Klick macht, wo die Inspiration liegt, um Kunst potenziell entstehen zu lassen.
Möglicherweise benötigt das Außergewöhnliche das Enthemmte.
Interessant, ich habe mich von der anderen Seite aus genähert, nämlich vom Gewöhnlichen. Auch das ist ja subjektiv, aber es ist greifbarer für mich. Ich kann aus meinem Alltagsverständnis heraus sagen, was für mich „normal“ oder eben gewöhnlich ist. Alles, was davon abweicht ist erstmal nicht gewöhnlich, also außerhalb des Gewöhnlichen.
„Kunst“ empfinde ich übrigens gar nicht als gierend nach Neuem, die Künstler aber wohl. Erstmal ist Kunst ja nur Gestalten, Schöpfung von etwas, das andere betrachten können. Ich denke, dass auch die künstlerische Darstellung von Alltag Kunst ist – das neue daran ist dann eben der Blickwinkel, die Betrachtung, die Vermischung von Themen oder Motiven.
Für mich war hier die Frage, ob nicht die Erzählung, Kreativität brauche den Rausch, nur vorgeschoben ist. Dass es ebenso eine Form von Prokrastination ist, die aber gehypt wird als Teil des künstlerischen Prozesses. Du sagst, die Dinge mit anderen Augen sehen, Durchblick für sich selbst, aus dem berauschten Moment heraus – ist das dieses Kopf-aus, von dem wir schon sprachen? Dann wäre das Enthemmte das, was heraus kann, wenn der Kopf nicht blockiert?
Darstellung von Alltag kann definitiv Kunst sein; alles kann potenziell zur Kunst werden – wobei ich behaupten wollen würde, dass „Kunst“ immer erst durch Sozialität/Resonanz entsteht. Es ist also nicht bloß Werk. Ein Text will gelesen werden, ein Dingsbums will betrachtet werden. Die Lesenden und Betrachtenden entscheiden darüber, was im Text gelesen und im Dingsbums gesehen wird, ob diese dann von ihnen als Kunst wahrgenommen werden. Die Erschaffenden können versuchen, die Wahrscheinlichkeit dafür zu erhöhen, dass in ihren Schöpfungen mehr als nur Werk gesehen wird – jedoch kann ein Bemühen darum auch ins genaue Gegenteil führen.
Dort sehe ich den Link zur Hemmung und Enthemmung. Wenn etwas gewollt ist, funktioniert es meist erst recht nicht, zumindest nicht im gewollten Maße. Sei kreativ – egal ob an die eigene oder an eine andere Adresse formuliert – ist beispielsweise eine paradoxe Anweisung. Es lässt sich nicht anordnen, nicht erzwingen. Wenn der Gedanke im Kopf sitzt, jetzt mal richtig kreativ sein zu wollen (oder zu müssen?), ist die Hemmung und das Scheitern bereits eingetreten. Wenn nicht reflektiert, sondern rein erlebt/getan wird – das verbinde ich mit berauschenden Momenten, egal welcher Art, egal welcher Ursache – dann entsteht die Bedingung der Möglichkeit für Kreativität. Vielleicht würde ich deshalb sagen: Dann ist das Enthemmte das, was heraus kommt, wenn der Kopf nicht blockiert. Das schließt nicht aus, dass die Erzählung, Kreativität brauche den Rausch, nur vorgeschoben sein kann. Es benötigt Kein-Wollen und Kopf-aus.
Ganz schön abstrakt.