Was ist das für eine merkwürdige Krankheit, die da um sich greift und die die Menschen dazu bringt, zu allem ihre Meinung sagen zu müssen und zwar so, als seien sie Experten. Das Ganze unter dem Deckmantel von „ich will doch nur helfen“ und „ich kenne das von mir – hier ist die Lösung“. Ganz egal, was man zu diesen Menschen sagt, sie haben für alles eine Lösung, auch wenn sie „Vorschlag“ dazu sagen. Und ganz im Ernst: Ich finde das einfach nur übergriffig.

Erzählt man zum Beispiel davon, dass man müde ist, erschöpft, dass man kaum Energie aufbringt für irgendwelche zusätzlichen To-dos abseits des Alltags, dann kommen ganz viele gut gemeinten Ratschläge – das kenne ich schon. Denn einen Zustand wie diesen muss man doch bekämpfen, behandeln, optimieren! Dann heißt es: Da gibt’s was Pflanzliches aus der Apotheke, da musst du mal regelmäßiger schlafen, weniger Kaffee und mehr Sport und überhaupt.

Man könnte auch einfach sagen: „Ja, ist grad alles ein bisschen viel bei dir, ne? Verständlich. Kann ich was für dich tun?“ Denn mal ganz ehrlich, Leute: Glaubt ihr wirklich, dass man nicht was tun würde, wenn die Lösung so einfach wäre? Wenn es wirklich nur um ein bisschen Schlaf ginge? Glaubt ihr nicht, dass man auf all die naheliegenden „Tipps und Tricks“ schon selbst gekommen ist (oder der Arzt, zu dem man geht)?

Geht es nur um Müdigkeit, kann ich vielleicht noch verstehen, dass jeder und jede was dazu zu sagen hat. Aber bei Herzrasen ist es das gleiche Phänomen. Da sagen sie: Na ja, in deinem Alter, das ist vermutlich ein Symptom von frühen Wechseljahren, wusste ich auch nicht, aber ich hab’s ja schon hinter mir. Ich schick dir mal nen tollen Artikel, danach glaubst du es mir. Da gibt’s auch was Pflanzliches…

Äh… ja. Also mal davon abgesehen, dass ich das wirklich unangemessen finde, mir derlei Diagnosen aufzutischen, liebe Leute: Traut ihr es den Ärzten nicht zu, dass die solche simplen Dinge checken (obwohl sie es für abwegig halten)? Glaubt ihr, ihr wüsstest es besser als Menschen, die irgendwas mit Medizin studiert haben?

Aber ich weiß ja: Ist alles nur gut gemeint und ich rege mich grundlos auf. Wisst ihr, wozu solche Reaktionen führen? Dazu, dass ich nichts mehr erzähle. Weil ich keine Lust mehr habe auf dieses ständige „ich weiß was, ich weiß was!“. Und ich habe auch keine Lust mehr auf diese Ansätze, dass alles, und ich meine ALLES, therapiert werden muss.

Was habe ich laut meinen Freunden und Bekannten schon für Krankheiten gehabt. Anna, natürlich bist du hochsensibel, ich bin das auch, wir sind uns so ähnlich! Anna, du hast ADHS, das ist ganz eindeutig, wie bei mir auch! Ach ja und dein Kind hat es natürlich auch, dem solltest du mal Medikamente geben, das wäre doch für alle einfacher.

Uff. Ganz im Ernst jetzt. Ich verstehe alle Menschen, die vielleicht lange um eine Diagnose kämpfen mussten und dann glücklich waren, als sie endlich schwarz auf weiß hatten, dass es einen Grund gibt, warum sie so oder so sind. Das heißt aber nicht, dass alle anderen das auch haben! Ich aber habe kein ADHS, bin nicht hochsensibel oder irgendwas anderes. Ich bin ein bisschen cleverer als der Durchschnitt, Junior ein bisschen mehr cleverer sogar. Das ist alles. Wir denken vielleicht etwas anders, mehr nicht.

Und ich finde es wirklich fürchterlich, dass die Menschen allem, was nicht aalglatt im Verhalten ist, was Ecken und Kanten hat, sofort eine Diagnose verpassen müssen. Ein Kind redet in bestimmten Situationen mehr als andere? ADHS. Ich habe ab und zu Konzentrationsschwierigkeiten? ADHS. Oder andersrum: Ich habe eine etwas längere Phase, in der nicht alles eitel Sonnenschein ist: Depression. Auch das hat man mir schon andichten wollen, seit der Mittelstufe immer mal wieder. (Da kommen sie natürlich auch: Da brauchst du Vitamin D, Johanniskraut, vielleicht ist es auch Eisenmangel?)

Nein! Bitte helfen Sie nicht! Können wir nicht einfach Dinge stehenlassen, wenn sie erzählt werden? Einfach mal was unkommentiert lassen? Davon ausgehen, dass der, der es erzählt, auch schon auf die Idee gekommen ist, zum Arzt zu gehen und ein Blutbild machen zu lassen? Als ersten logischen Schritt?

Können wir Menschen betrachten als komplexe Wesen, die nicht alle so sind wie wir selbst? Bitte! Es ist doch reichlich vermessen, sich in Dinge einzumischen, die einen nichts angehen. Und nein, nicht für jedes Problem gibt es ein lustiges Kraut in der Apotheke. Wenn jemand aufgewühlt ist, muss er nicht sofort beruhigendes Zeugs einnehmen. Manchmal braucht es einfach nur ein bisschen Raum, eine Pause, jemanden, der zuhört. Und gut.

Übrigens: Auch wenn Menschen gestresst sind, brauchen sie meistens keine Tipps für eine Morgenroutine, für autogenes Training oder Meditation. Ganz sicher haben sie schon viele Dinge ausprobiert und eure super-duper Lösung ist bestimmt gar nicht so ein Geheimtipp, wie ihr meint.

Bitte. Lasst eure Diagnosen einfach sein. „Ich kenne das“ ist oft unangebracht, ganz besonders dann, wenn man sich verdeutlicht, dass man nur einen klitzekleinen Ausschnitt kennt. Lasst die Menschen doch bitte auch mal unglücklich, müde, gestresst, aufgewühlt oder genervt sein. Überschäumend vor Energie und auch mal ausgelaugt. Mit aufgedrückten Lösungen könnt ihr nicht helfen, selbst dann, wenn es doch mal Hilfe braucht. In den allermeisten Fällen tun Menschen doch, was sie können. Mehr geht leider nicht.

Du kannst mir übrigens einen Kaffee-Regen schenken, wenn dir danach ist. Weil Geben und Nehmen zusammengehören. Meine Kaffeekasse findest du hier.

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