In meinem Gesicht ist immer eine Menge los. Man kann, wenn man mich ein bisschen kennt, meine Stimmung, meine Gesprächsbereitschaft und Teile meiner Intention herauslesen. Menschen, die mich regelmäßig um sich haben, wissen, wann ich gereizt bin, wann ich unter Stress stehe und wann ich entspannt bin. Aber da ist noch mehr: Man sieht auch, wenn ich mir gerade selbst Geschichten erzähle, wenn ich mir Storys aus der Vergangenheit noch mal ins Gedächtnis rufe, wenn mir Dinge im Kopf herumgehen, die mich amüsieren. Manche Menschen glauben dann, meine Mimik hätte etwas mit ihnen zu tun. Dabei bin ich gerade ganz woanders.

In Seminaren ist mir das oft passiert: Da haben Dozenten oder Trainer mich angesprochen, weil sie meine krause Stirn für Irritation hielten, die mit ihrem Kurs zu tun hat. Oder in der Schule, als mein Biologielehrer zu mir sagte: „Anna, Ihre Mimik entgleist mal wieder.“ Dabei hatte mein Blick selten direkt mit ihm zu tun, sondern ich hatte gerade Besseres zu tun, als seinem Unterricht zu folgen.

Manchmal wird mir auch meine Haltung als Feindseligkeit ausgelegt. Wenn ich mit verschränkten Armen im Seminar sitze zum Beispiel. Ich denke, daran Schuld sind diese Körpersprache-Gurus und Gesichtsleser, die alles ganz einfach erklären. Da bedeutet die eine Geste dies, zu häufiges Blinzeln das und eine krause Stirn in Kombination mit verschränkten Armen ist dann eben etwas Schlechtes.

Das ist aber zu einfach. Denn was wirklich in meinem Kopf abgeht, kann man nun wirklich nicht von außen sehen. Menschen, die mich kennen, wissen das. Die erkennen, dass meine Mimik gar nichts mit ihnen zu tun hat.

Erinnerungen

Ich kann in Bildern und in Worten denken, also in Geschichten, die aus Dialogen bestehen. Ich kann komplexe Storys entwerfen und sie detailreich auskleiden, ohne sie aufzuschreiben. So entstehen Geschichten, Artikel und so ist auch meine Abschlussarbeit entstanden. Passagen dieser Arbeit standen bereits zu großen Teilen fest – nahezu wortwörtlich – noch bevor ich anfing, zu schreiben.

Wenn ich etwas lese, dann nehme ich manchmal ganze Sätze auf, manchmal Begriffe und Begriffsverbindungen. Die kann ich dann erinnern, aufschreiben, manchmal noch umformulieren. Genauso ist es bei Chats oder Gesprächen. Für mich wichtige Sätze halte ich im Wortlaut fest oder ich speichere den Kernbegriff und dazugehörige Begriffe und Interpretation ab.

Ich habe kein perfektes Gedächtnis, auch kein fotografisches, sondern ich betreibe eine Art paraphrasierendes Nacherzählen. Ich erzähle mir im Kopf, wie der Gedanke lauten soll, wenn ich ihn wieder hervorrufe.

Das funktioniert für alles, was mir wichtig ist. Unwichtige Dinge vergesse ich – besonders gern Namen. Meist kann ich mir Nummern besser merken als Namen, weil ich Personen auf andere Weise besser erinnern kann. Ich merke mir dann lieber die passenden (für mich wichtigen) Informationen zu der Person als ihren Namen.

Bei Nummern geht das nicht, da muss ich mir also die exakte Reihenfolge merken, denn umschreiben lässt es sich nicht. Als ich ein neues Konto eröffnete und es um das alte Konto ging, war mein Bankberater sehr beeindruckt, als ich ihm die IBAN einfach so aus dem Gedächtnis nennen konnte. Ich gebe zu: Bei meinen Geschäftskonten, die ich komplett online führe, habe ich mir die Nummern nicht gemerkt.

Welten im Kopf

Wenn ich also Erinnerungen so speichere, dann kann ich auch komplexe Szenen festhalten und mir dann wieder hervorholen, wenn ich es will. Das Tolle ist: Ich kann bei bestimmten Erlebnissen auch die körperlichen Empfindungen wieder herstellen, wenn ich mir die Geschichte „nacherzähle“. Das habe ich wirklich lange geübt, weil ich unbedingt wollte, dass es geht.

Der Auslöser war damals ein Unfall meines Vaters, bei dem ich blöderweise dabei war. Ich dachte in dem Moment, er würde sterben. Da muss ich etwa 9 oder 10 gewesen sein. Und ich kann bis heute einzelne Bilder bis ins Detail wiederherstellen, die Szene komplett nachspielen im Kopf. Und ich merkte damals, dass ich von diesem Erlebnis auch die Emotionen jedes Mal wieder hochholte. Meine Angst, meine Panik, mein Entsetzen. Ich höre mich selbst schreien, immer wieder.

Da habe ich mir gedacht, dass das auch für andere Erlebnisse funktionieren muss. Und seitdem versuche ich, wichtige, sehr intensive Erlebnisse ganz detailreich und bewusst aufzunehmen und ich erzähle sie mir hinterher, um sie zu festigen.

Manche dieser Erinnerungen sind so wertvoll, dass ich sie nicht verändern kann. Sie sollen genau so bleiben, wie ich sie in meinen Kopf gepackt habe. Aber in anderen kann ich herummalen. Ich kann sie schneller machen oder die Farbe verändern oder den Ton. Kann Musik drunterlegen oder sie wegnehmen. So erschaffe ich manchmal neue Situationen oder verändere den Fortgang der Geschichten, spinne sie weiter.

Wenn ich das mache – manchmal auch während ich spazieren gehe oder Bus fahre, dann sieht man das vielleicht auch in meinem Gesicht. Denn man weiß ja nie, was ich gerade erlebe oder noch mal erlebe.

Ich habe über dieses grenzenlose Denken schon einmal auf meinem Hauptblog geschrieben – wenn du magst lies gern rein: Grenzenlose Gedanken, grenzenlose Worte

Vom Gedachten zum Erleben

Spannend wird es, wenn ich mir Geschichten ausdenke, die vielleicht so auch passieren könnten. Dann habe ich manchmal das Bedürfnis, sie in der Wirklichkeit nachzu“spielen“, um zu testen, wie sie sich wirklich anfühlen. Und manchmal, wenn ich das mache, erlebe ich diese Szene dann wieder so bewusst wie es nur geht, um sie später genau erinnern zu können.

Für mich ist dieser unendliche Raum ein großes Spielfeld. Und mein Gehirn ist immer beschäftigt mit neuen (oder alten) Geschichten. Manche Geschichten belasse ich dann auch bewusst in meinem Kopf, weil sie nicht für die Wirklichkeit taugen. Aber welche das sind, kann ich hier leider nicht verraten 🙂

Was ich aber verrate: Wenn du mich mal triffst und du das Gefühl hast, dass mein Gesichtsausdruck nicht zur Situation passt, dann beziehe es bitte nicht auf dich. Es kann sein, dass ich einfach gerade dabei bin, Details der Situation abzuspeichern. Und das ist ein Kompliment und keine Kritik.

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