Kommt ne Frage um die Ecke und sofort springen mir die Gedanken wie Flummis im Kopf herum. Ich lese das Interview über Perfektionismus, das Theresa Bäuerlein mit der Psychologin Ellen Hendriksen geführt hat und schon bin ich mittendrin. Das Thema ist eins, das ich schon seit meiner Jugend kenne und das mich auch nicht loslässt – oder ich es, je nachdem, wie man es sieht.
Ich bin in so vielen Bereichen meines Lebens überhaupt nicht perfektionistisch, eher schlampig sogar, daher glaubt man mir das manchmal nicht, wenn ich erzähle, dass ich mich mit bestimmten Dingen schwertue oder manche gar nicht erst anfange, weil ich das Gefühl habe, dass es nicht gut werden wird. In dem Interview erzählt die Psychologin Hendriksen davon, dass Perfektionismus ein Phänomen ist, das sich auszubreiten scheint. Und es geht gar nicht darum, alles perfekt machen zu wollen, sondern darum, sich nie gut genug zu fühlen.
Unter dem Perfektionismus liegen Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt, eigentlich ja gute Eigenschaften. Aber ungesund wird es da, wo wir unsere Leistung mit unserem Wert als Mensch gleichsetzen. Dann ist dieser Perfektionismus eine Hürde, die eben nicht sorgfältig und produktiv macht, sondern lähmt. Denn egal wie sorgfältig du arbeitest, du wirst es nie gut genug machen.
Ich habe manchmal die Idee, dass ich etwas voll und ganz verstehen muss, dass ich Dinge ganz richtig machen muss und dass ich Erwartungen (auch unausgesprochene) vollständig erfüllen muss. Tue ich das nicht, passiert etwas Schlimmes, sagt zumindest mein Kopf.
Und an diesem Punkt sprang mir die Frage in den Kopf: Wer bin ich denn eigentlich, wenn ich nichts mehr leiste? Wenn ich die Erwartungen nicht mehr erfülle und darauf warte, dass die Welt untergeht? Wer bin ich, wenn ich nichts tue?
Die Frage macht mich ein bisschen wahnsinnig, muss ich sagen, denn ich frage mich eigentlich immer: Was muss ich hier in dieser Situation tun? Was ist der nächste Schritt? Woran muss ich denken und welche Aufgaben muss ich erledigen? Ist das so richtig? Selbst in geführten Prozessen, in denen ich gar nicht für den Prozess verantwortlich bin, denke ich darüber nach, ob ich das auch gut genug mache, ob ich genug tue, um den Prozess voranzubringen. Denn wenn nicht, wird es so ja nicht weitergehen können.
Ich bin nicht meine Leistung. Oder doch?
Ich sage gern Sätze wie „Kann ich etwas für dich tun?“, weil ich dann das Gefühl habe, ich könnte etwas tun – egal wie die Antwort ausfällt. Vor längerer Zeit habe ich mal die Krankenhaus-Serie „New Amsterdam“ geschaut und da gibt es eine Folge (Staffel 5, Folge 13), in der die Hauptfigur Dr. Max Goodwin durch das Krankenhaus läuft und immer, wenn ein Problem auftaucht, fragt: „How can I help?“, also „Wie kann ich helfen?“
Du kannst es dir vielleicht denken: Das hat mir sehr gefallen. Ich gehe vielleicht nicht die Risiken ein, wie es die Figur Max Goodwin in der Serie tut, aber ich mag den Gedanken, dass es oft nur eine helfende Hand und ein bisschen Aufmerksamkeit braucht, um ein Problem zu lösen. Und geben wir diese Dinge nicht, wer sind wir dann?
Und damit zurück zur Frage: Wer bin ich, wenn ich nichts tue? Wer ist dann diese Anna, die nur ist, aber nichts macht? Ich hatte mir die Frage vor Monaten schon mal gestellt, ein bisschen abgewandelt: Wer bin ich, wenn ich nicht schreibe? Wer bin ich ohne meine Blogs, meine Podcasts, mein Social Media? Wer bin ich, wenn ich meine Gedanken nicht (mehr) teile?
Ich darf dir verraten, dass ich bislang zu keiner befriedigenden Antwort gekommen bin – ich weiß es einfach nicht. Für mich ist mein Leben auch eine Aneinanderreihung von Dingen, die ich geschafft habe, von Krisen, die ich gemeistert oder zumindest überlebt habe, von Etappen, die ich (schon irgendwie durch meine eigene Leistung) hinter mich gebracht habe. Diese Geschichte umzuschreiben, finde ich ganz schwierig. Genauso wie es schwierig ist, anderen zu glauben, ich müsse nichts tun, nur sein. Dabei gestehe ich selbst das anderen zu. Verrückt, oder?
Du kannst mir übrigens einen Kaffee-Regen schenken, wenn dir danach ist. Weil Geben und Nehmen zusammengehören. Meine Kaffeekasse findest du hier.
5 Antworten
Ich mochte diese Folge von New Amsterdam auch total gern! Ich muss mir immer wieder bewusst machen, dass Perfektionismus auch Menschen auf Distanz hält, Max aus der Serie habe ich jetzt nicht als Teamplayer im Gedächtnis.
Bei meiner Perfektionismus-Struggle hilft mir persönlich Butho-Tanz ☀️
Liebe Grüße, Astrid
PS Bitte lösche deine Sachen nicht, okay?
Spannende Frage, denn ganz tief drin steckt da ja auch die Frage nach dem Sinn des Lebens. Wenn du nichts mehr machst, wer bist du dann, welcher Sinn hat dann die eigene Existenz. Und ich glaube – ich habe eben im Fediverse schon eine Antwort gesehen, die in die Richtung geht – es ist die Leistungsgesellschaft, die uns dazu drängt, dass wir uns über das GEleistete definieren. Es passt auch irgendwie zum Thema Hoffnung, ich lese ja gerade das Buch von Philipp Blom, und die Frage, was bleibt von mir, wenn ich nicht mehr bin, wie verhalte ich mich jetzt zur Welt, dass danach noch etwas von mir bleibt.
Wer bist du, wenn du nichts mehr machst? Dann bist du immer noch Anna, dann bist du immer noch die Mutter von deinem Kind, du bist immer noch ein Mensch, du bist noch immer ein soziales Wesen, welches von anderen Menschen geliebt und gebraucht wird. Ich glaube, die Frage, die eigentlich im Raum steht, ist: „Was bleibt von mir, wenn ich nicht mehr bin?“ – aber das ist jetzt auch nur eine Interpretation von mir.
Interessant, diese Frage habe ich mir auch schon gestellt. Aber erstaunlicherweise ist es da so, dass ich gar nicht an Leistung denke. „Was bleibt von mir, wenn ich nicht mehr bin?“ ist für mich gekoppelt an „Wer möchte ich am Ende meines Lebens gewesen sein?“ und „Was ist ein gutes Leben?“ (das ist für mich der Sinn des Lebens: gut leben). Also am Ende des Lebens geht es für mich gar nicht so sehr darum, etwas zu hinterlassen, sondern ob ich in den Spiegel schauen kann. Und ich glaube, an dieser Stelle treffen sich die Antworten, denn (in meiner Welt) ist es so, dass ich Spuren in Menschen und Verbindungen hinterlasse, wenn ich es geschafft habe, ein gutes Leben zu führen. Ist ja letztlich alles Definitionssache.
Mein Problem ist vielleicht, dass ich eben nicht am Ende meines Lebens bin und unzufrieden mit dem Fakt, dass ich mit Ende 30 noch nicht herausgefunden habe, wo mein Platz ist. Und damit bin ich sicher nicht allein, daher stelle ich diese Fragen ja hier 🙂
Liebe Anna,
vor 20 Jahren (ja, das ist schon ganz schön lange her und so fangen langweilige Geschichten an) habe ich in meiner NLP-Ausbildung so einen Postkartenkalender mit Sprüchen geschenkt bekommen. Auf einer dieser Karten stand: „Alles, was es wert ist, getan zu werden, ist es auch wert, unperfekt getan zu werden.“ Das hat mich ganz schön beschäftigt und auch nachhaltig verändert. Die Postkarte steht immer noch eingerahmt im Regal und ist bis heute ein Leuchtturm für mich.
Einfach mal anfangen, ohne mir selbst Druck zu machen, könnte ja gut werden.
Und das, was dabei herauskommt, wird reichen, immer!
Das sind meine Gedanken, die ich gerne mit dir teilen möchte.
Und ich gehöre auch zu denen, die glauben, dass einfach nur sein schon alleine den Unterschied macht.
Selbst wenn du deine Gedanken ab sofort nicht (mehr) teilen würdest, ist schon so viel von dir da, das bleibt und weiter schwingt. Da bin ich mir ganz sicher.
Na guck, bei mir ist es 13 Jahre her und ich habe „nur“ ein Buch geschenkt bekommen. Ich fürchte ja, dass es mit Erkenntnis nicht getan ist, man muss das glauben, fühlen, verinnerlichen. Denn mir ist völlig klar, dass es Perfektion nicht gibt – und trotzdem strebe ich danach, egal wie verrückt ich selbst das finde. Und manchmal ist nicht das Anfangen das Problem, sondern das fertig werden… Aber das führt jetzt zu weit.
Und klar, es ist ganz viel da – aber was, wenn ich es lösche? Ich könnte morgen alle meine Blogs, meine Podcasts, mein Social löschen. Dann gäbe es noch ein paar Monate Spuren und dann… nichts mehr, außer den Fragen, die sich manche stellen „wo ist sie hin?“. Und auch die verblassen. Also bin ich dann noch Bloggerin und Podcasterin, wenn es nichts mehr zu lesen und zu hören gibt? Ich bin nicht sicher