Du bist mein Kunde, denn du spielst ab und zu Tennisturniere oder Punktspiele bei uns auf der Anlage. Ich bin im Restaurant, bringe dir Kaffee und Cola, ich lächle, schäkere vielleicht sogar ein bisschen, je nachdem, wie ich drauf bin – und du. Denn das ist mein Job. Dir ein gutes Erlebnis zu bescheren, ist mein Job. Gute Gefühle. Ein schöner Job, sollte man meinen. Ich bin aufmerksam, wir kennen uns ja schon länger, ich weiß, was du bestellen wirst noch bevor du an der Theke ankommst. Das ist mein Job, ich mag meinen Job, ich mache ihn gut. Du findest mich süß, lieb und nett.
Jahre später hast du eine Kneipe, du sagst: Du kannst jederzeit bei mir arbeiten, wenn du mal Lust hast. Ich vermisse das Kellnern, seit ich damit aufgehört habe, denn ja, das ist ein schöner Job, ich sagte es bereits. Ich ruf dich an, frage nach, ja, na klar kannst du hier arbeiten. Die Bedingungen sind ausgehandelt, viel werde ich nicht machen, denn ich habe meine Selbstständigkeit, meine Kunden und Kundinnen, meinen Sohn, ein Privatleben. Aber ab und zu hinter der Theke stehen, cool. Du findest mich immer noch süß, lieb und nett.
Es ist meine zweite Schicht im Laden, ich habe eine Gesellschaft auf dem Saal, kellnere die Veranstaltung allein. Theke, Getränkeservice, Büfett, Teller, abräumen, nachfüllen, alles. So weit, so gut, mache das ja nicht zum ersten Mal, nur der Laden ist mir nicht vertraut. Vorn im Laden ist Normalbetrieb, du bist nicht da, hast irgendwelche Termine mit deiner Tochter – schön.
Du fragst ab und zu per Messenger nach, wie es läuft, ich habe kaum Zeit zu antworten, schon okay. Weit nach Mitternacht, die anderen haben längst Feierabend gemacht, kommst du irgendwann wieder in den Laden. Geht ja auch nicht anders, ich habe keinen Schlüssel und könnte gar nicht allein zumachen. Du bist besoffen, nicht ein bisschen, sondern so richtig.
Du taumelst in den Saal, umarmst mich, ich weiche zurück, so weit ich kann, ein gequältes Lächeln. Es fällt dir schwer, zu laufen, aber du kommst hinter die Theke, da, wo kein Platz ist. Du lallst mich voll: „Ist das wirklich was Ernstes mit deinem Freund? Du bist doch viel zu gut für den!“ – und so weiter. Hinter der winzigen Theke kann ich nicht weg, sie ist nur von einer Seite offen. Ich schnappe mir mein Tablett, will raus, sage: „Ich hab hier noch zu tun…“
Etwas später am Abend willst du mit mir tanzen. „Lächel doch mal, du bist so hübsch, wenn du lächelst!“ Du schlägst mir auf den Hintern, taumelst herum, kannst kaum noch stehen, das ist auch ein bisschen gut, denn so habe ich die Theke wieder für mich allein.
Es ist meine zweite Schicht in deinem Laden. Du bist mein Chef. Es ist weit nach Mitternacht, geht so auf zwei Uhr zu, ich bin die einzige im Laden außer den Gästen – und dir. Ich habe keinen Schlüssel für die Kneipe und mein Rucksack ist im Büro eingeschlossen – auch dafür hast du den Schlüssel. Da ist auch mein Autoschlüssel. Ich kann hier nicht weg ohne den.
Du quatschst mich voll, erzählst mir, dass mein Freund ein Idiot ist, wie kann er das erlauben, dass ich Zeit hier verbringe ohne ihn. Müsste er nicht jede freie Minute mit mir verbringen? Du würdest das tun. Du bist der bessere Mann. Ich lasse dich reden, antworte nicht. Du brüllst mich an, ich solle dir zuhören, mehrfach. Ich versuche dir zu erklären, dass ich zu tun habe.
Ich arbeite, räume die Tische ab, spüle Gläser, die Veranstaltung löst sich langsam auf, ich weiß nicht, ob ich das gut oder beunruhigend finden soll. Ich bin seit über acht Stunden hier im Dienst und hatte keine Pause. Und ich denke darüber nach, wie ich sicher nach Hause komme.
Irgendwann hörst du auf, zu reden. Vielleicht ist es doch zu dir durchgedrungen, dass du gerade Mist baust, du ziehst dich in die Kneipe zurück, lässt mich die Veranstaltung zu Ende kellnern. Und ja, ich komme nach Hause. Du drückst mir meinen Lohn in die Hand – zu viel, ist das jetzt Schmerzensgeld, Schweigegeld oder bist du zu besoffen, um zu rechnen? – und schließt mir das Büro auf. Ich nehme meinen Rucksack und fahre nach Hause. Mein Herz klopft.
In der Nacht noch wirst du mir schreiben: „Ich glaube ich habe dich n bisschen zu sehr angemacht als es erlaubt war! Sorry dafür! Ich mag dich wahrscheinlich mehr als ich sollte…“
Pflichtgefühl
Zu diesem Zeitpunkt hätte ich einfach nicht mehr wiederkommen sollen. Haben mir auch alle geraten, mit denen ich gesprochen hatte. Was geht es mich in so einer Situation noch an, was mit seinem Laden passiert? Aber ich hatte Schichten zugesagt. Und ich habe so etwas wie Pflichtgefühl. Und ich hatte die verrückte Idee, es könnte etwas bringen, Klartext zu reden.
Ich spreche dich vor meiner nächsten Schicht an, bin bereit, sofort wieder zu fahren. Du sagst, du erinnerst dich nicht, ja natürlich nicht. Ich sage dir, was passiert ist und dass ich nur mit sehr viel gutem Willen da bin. Dass ich sofort abhauen werde, solltest du mir noch einmal zu nah kommen. Mein Rucksack wird nie wieder in deinem Büro eingeschlossen sein.
Ich reiße die zugesagten Schichten ab. Einer deiner Stammgäste gräbt mich so derbe an, dass ich laut werden muss, ein anderer schlägt mir mitten im Biergarten vor versammelter Mannschaft auf den Hintern (ich hatte bereits darüber geschrieben). Mir wird erklärt, das sei normal, ist ja schließlich ne Dorfkneipe. Aha. Ich finde das nicht normal. Und ich gehe jedes Mal zu dir, denn du bist mein Chef. Ich höre von dir: „Das kann ich mir gar nicht vorstellen! Nein, doch nicht der!“
Irgendwann sind meine zugesagten Schichten beendet und nein, ich reiße mich nicht darum, neue zu übernehmen. Chefs, die sich im eigenen Laden betrinken, über ihre Angestellten lästern und nicht unterstützen, wenn etwas passiert, sind keine Lieblings-Chefs.
Und weißt du was? So wie es MEIN Job als Kellnerin war, dir als GAST ein gutes Gefühl zu geben, war es DEIN Job als CHEF, mich zu unterstützen. Mir ein gutes Gefühl zu machen, ein sicheres, eins, mit dem ich gut arbeiten kann. Wenn mir Gäste zu nahe kommen, kann ich immer noch hinter die Theke flüchten, da ist Abstand zwischen uns, da dürfen sie nicht hin. Aber wenn du mein Chef bist, kann ich das nicht. Es ist nicht nur unangemessen, es ist auch strafbar.
Das Ende: Beleidigung obendrauf
Ich werde nicht mehr in der Kneipe arbeiten. Ich habe mich beschwert, habe auf mein Recht bestanden, habe meine Meinung gesagt. Ich habe dich kritisiert. Jetzt bin ich nicht mehr super lieb, süß und nett. Du schreibst mir, ich wirke verbittert, sei zynisch.
Das ist leider so erwartbar. Dass ich solange annehmbar bin, wie ich tue, was du willst. Solange ich mich anmachen lasse, antatschen, solange ich schweige zu all dem Mist, der um mich herum passiert. Sobald ich aber den Mund aufmache, beleidigst du mich. Und das ist so traurig. Es ist so traurig, dass du als erwachsener Mann so wenig Selbstbeherrschung, so wenig Achtung und so wenig Empathie hast. Dass du dich über andere stellen musst, weil du sonst merkst, was für ein armes Würstchen du eigentlich bist. Es ist wirklich traurig.
Ich habe keine Lust mehr, still zu sein. Habe keine Lust mehr, anderer Leute Fehlverhalten zu entschuldigen. Ich bin so müde von all diesem Mist, von Menschen, die andere klein machen, die glauben, sie könnten machen was sie wollen. Ich hätte dich anzeigen sollen. Und wenns nur dafür ist, dass du einmal merkst: Hier stimmt was nicht. Denn es stimmt hinten und vorne nicht.
An alle Männer, die jetzt sagen: „Du musst dich doch wehren!“ – Nein. Im Zweifel hältst du lieber still und wartest auf Deeskalation, als dass Schlimmeres passiert. Lies noch mal ganz genau nach, ich habe es hier beschrieben, welches Programm in einer solchen Situation in meinem Kopf abläuft. Lies es. Glaub es. Versteh es. Und handle, wenn du eine solche Situation beobachtest. Danke.
Du kannst mir übrigens einen Kaffee-Regen schenken, wenn dir danach ist. Weil Geben und Nehmen zusammengehören. Meine Kaffeekasse findest du hier.
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