Manchmal ist es ein kleiner Gedanke, den ich irgendwo aufschnappe und der mich dann nachhaltig beschäftigt. So war es auch diesmal: Da höre ich beim Kochen den Podcast „Betreutes Fühlen“ mit Leon Windscheid und Atze Schröder, es geht gerade um Gelassenheit, wie nett, davon brauchen wir mehr. Aber dann, so etwa ab Minute 45 kommt die Info: Es gibt Menschen, die haben Angst davor, glücklich zu sein (und auch gelassen). Interessant, oder?

Der Begriff „Fear of Happiness“, also die Angst vor dem Glücklichsein, ist wohl von Paul Gilbert geprägt, dem bei der Arbeit mit depressiven Patienten aufgefallen ist, dass manche von ihnen große Probleme haben, sich selbst Freude oder Genuss zuzugestehen. Sie wollen aber auch nicht, dass sich das ändert, denn sie glauben: Wenn ich mich einmal glücklich fühle, dann passiert im Gegenzug was ganz Schlimmes. Sie haben also Angst vor dem Positiven, weil sie das Negative, das darauf folgt, befürchten.

Und aus dieser „Angst vor dem Glücklichsein“ heraus dämpfen sie ihre positiven Emotionen. Bloß nicht zu glücklich sein, denn dann wird der Aufschlag härter sein, wenn das (unvermeidlich) Negative kommt.

Sie glauben: Bleiben sie auf einem gemäßigten Level an „Glücklichsein“, dann ist der Schock nicht so groß, wenn die nächste Krise um die Ecke kommt. Lieber nicht nachsichtig oder unvorsichtig werden (zu ausgelassen), weil man dann das Unglück nicht kommen sieht.

Mit dem Glück kommen Gedanken auf, die unangenehm sind. Menschen, die diese Fear of Happiness haben, glauben, Hochgefühle nicht zu verdienen, oder aber sie wollen nicht den Neid anderer wecken. Denken wir zum Beispiel an die Schule oder an Sport: Wenn man der oder die Beste ist, dann ist das im Zweifel ein Grund dafür, dass andere diesen Erfolg neiden. Also lieber nicht auch noch freuen darüber, das verstärkt ja im Zweifel diesen Effekt noch.

Es gibt verschiedene Studien, die auf die Arbeit von Paul Gilbert aufbauen, was die Angst vor dem Glücklichsein angeht. Als ich mich weiter informieren wollte, bin ich auf einen gut zu lesenden Artikel von Spektrum gestoßen, der versucht, die Hintergründe aufzudröseln.

Ich finde diese Gedanken so spannend, weil ich glaube, dass das eben nicht nur im Extrembereich passiert oder wenn man depressiv ist, sondern dass diese Mechanismen auch mal im Alltag passieren, vielleicht unbemerkt. Dass wir uns über Erfolge nicht freuen, sie eben nicht feiern, sie framen als Selbstverständlichkeiten. Und dass wir eben nicht super ausgelassen feiern, sondern gemäßigt, nicht zu viel, nicht zu sehr abheben. Weil es irgendwelche negativen Konsequenzen haben könnte.

Also ich fand die Gedanken jedenfalls sehr naheliegend, wie auch den Hinweis, dass manche Menschen Entspannung und Gelassenheit nicht gut ertragen können.

Lieber unentspannt

In der Podcastfolge, die ich gehört habe, ging es ja um Gelassenheit. Gegen Ende der Folge wurde über ein Experiment von Hanjoo Kim (2019) berichtet, das Hinweise darauf gibt, dass ängstliche oder depressive Menschen sich davor fürchten, sich zu entspannen. Da habe ich auch noch mal sehr genau hingehört, weil ich das auch wieder sehr logisch finde – auch ohne Depression oder Angststörung.

Also da wo andere mit progressiver Muskelentspannung, mit Yoga und Meditation „runterkommen“ wollen, bekommen andere Angst. Es scheint so zu sein, dass Gelassenheit und Entspannung bei den Betroffenen zu einem Anstieg der Angst führen.

Psychologen nennen das Phänomen „entspannungsinduzierte Angst“ (relaxation induced anxiety). Mit der Entspannung kommt die Furcht, die Kontrolle über die eigenen Gefühle zu verlieren. Außerdem erhöht sich die Angst vor der Angst. Versetzt man diese Menschen also in einen entspannten Zustand, dann reagieren sie mit noch mehr Unbehagen, eine Art Teufelskreis.

Die Idee dahinter ist auch hier: Wenn ich Sorge davor habe, was die Zukunft bringt, dann schalte ich nicht runter in einen entspannten Zustand. Denn wenn ich eh schon in einem sorgenvollen Zustand bin, werde ich nicht eiskalt überrascht, wenn dann etwas Schlimmes passiert. Bin ich aber nachlässig, weil ich mich entspanne, dann knallt mir das Leben vielleicht völlig unvorbereitet eine schmerzhafte Erfahrung vor die Füße.

Weil der Kontrast von entspannt zu belastend als schmerzhafter angenommen wird, entspannen sich die Betroffenen erst gar nicht. Sie bleiben lieber in einem erregten Zustand, immer auf der Hut sozusagen.

Ich glaube, dass es diesen Mechanismus im Kleinen auch öfter gibt als wir denken. Dass wir uns lieber ablenken, aktiv sind, irgendwie beschäftigt, als dass wir uns wirklich runterfahren. Denn dann könnten Gedanken kommen, die uns nicht gefallen. Und ja, genau, dann wären wir vielleicht nicht so gut vorbeireitet, wenn die nächste schlimme Erfahrung oder der nächste belastende Gedanke um die Ecke kommen.

Also für mich klingt das absolut logisch. Gibt es ja auch auf der körperlichen Ebene: Bloß nicht Pause machen, lieber weiterfunktionieren, durchpowern, immer weiter, denn wenn wir stoppen, werden wir krank. Kennt sicher auch jeder, der nach einer anstrengenden Arbeitsphase im Urlaub direkt mal mehrere Tage flachgelegen hat. Da vermeiden wir lieber das Runterkommen, nicht dass uns ein Tief erwischt, das uns länger ausschaltet als uns lieb ist.

Ich frag mich bei solchen Infos jedenfalls gern mal, wie viel davon ich selbst in meinem Alltag habe. Auch ohne psychische Erkrankung. In einer Art Dauer-Erregung und bloß nicht zu sehr freuen. Kommt mir jetzt nicht völlig unbekannt vor. Aber clever ist anders…

Du kannst mir übrigens einen Kaffee-Regen schenken, wenn dir danach ist. Weil Geben und Nehmen zusammengehören. Meine Kaffeekasse findest du hier.

3 Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert