Wenn wir über Dinge sprechen, die uns in irgendeiner Weise beeinflussen, vielleicht stressen, traurig machen, einschränken, dann gibt es schnell Stimmen, die sagen: Ja okay, ist blöd… Aber denk doch mal an die, denen es noch schlechter geht! Wer dann als Beispiel eingebracht wird, ist unterschiedlich. Bin ich arm und kann mir bestimmte Dinge nicht leisten, bin ich immer noch nicht so arm wie die Menschen, die in anderen, ärmeren Gegenden der Welt oder auf der Straße leben / arbeitslos oder in der Altersarmut gelandet sind und so weiter. Da soll ich mich mal nicht so haben! Erzähle ich davon, dass ich übermäßig angestrengt bin durch mein Dasein als alleinerziehende Selbstständige, bin ich immer noch zu wenig gestresst, um mich zu beschweren, denn es gibt ja auch Frauen, die mehr als ein Kind haben und es trotzdem hinkriegen. Erzähle ich, dass ich seit einem Unfall vor 18 Jahren eingeschränkt bin, heißt es: Ja, aber das ist doch nichts, es gibt Leute, die keine Arme und Beine haben und trotzdem gut drauf sind!

Leute, ich habe die Schnauze voll von diesen absurden Vergleichen. Liebe Menschen, versucht es doch mal mit Verständnis statt mit „hilfreichen“ Tipps. Denn ja: Es gibt IMMER jemanden, dem es schlechter geht. Das hat aber nichts, wirklich gar NICHTS mit mir zu tun.

Im Verbindung schaffen – Podcast hatte ich darüber erzählt, wie es ist, wenn man dauerhaft etwa 60 % seines Geruchssinns verliert. Ich hatte zwei Gründe, das zu tun. Einerseits, weil ich das schon schade finde, dadurch eine eingeschränkte Verbindung zur Welt zu haben, andererseits, damit alle, die das nicht haben, eine Idee davon bekommen, wie das so ist.

Dafür sind Geschichten da, sie lassen uns fühlen und denken, sie können dafür sorgen, dass wir mal eine andere Perspektive einnehmen. Gerade dann, wenn es um eine Einschränkung geht, die niemand sieht und die auch so außergewöhnlich ist, dass sich die wenigsten darüber Gedanken machen. Fällt halt nicht so auf wie der Verlust anderer Sinne (und andere Sinne zu verlieren, ist natürlich viel schlimmer!).

Ernsthaft, ich finde es fürchterlich, dass so viele Menschen den Impuls haben, Empfindungen zu relativieren. Und zwar nicht nur die von Kindern (war doch nicht so schlimm), sondern auch von Erwachsenen! Was stimmt denn nicht mit uns, dass wir das nicht einfach stehenlassen können, sagen können: Ja, das ist echt scheiße, das tut mir leid für dich.

Ich kann nichts ändern und doch darüber sprechen

Ja, es ist richtig, ich kann daran nichts ändern. Aber ich darf doch traurig sein? Ich mein, ich sag doch auch nicht zu depressiven Menschen: Hab dich mal nicht so, anderen geht es schlimmer! Stimmt. Aber auch das hat nichts mit der individuellen Situation und dem Empfinden zu tun. Das zu glauben, ist Bullshit, sorry.

Also worum geht hier? Mal wieder Hilflosigkeit? Das wird mir immer gern als Erklärung präsentiert. Menschen wissen nicht, was sie sagen sollen, und sagen dann Quatsch. Tja, finde ich trotzdem unangemessen (ich hatte hier bereits darüber geschrieben, wie nervig es ist, ständig diagnostiziert werden, wenn man darüber schreibt, dass gerade etwas schief läuft, der Körper spinnt oder oder oder).

Wie wäre es mit Sprachlosigkeit in der Hilflosigkeit? Echte Sprachlosigkeit. Wir müssen nicht alles kommentieren – und schon gar nicht so. Ein anderer Ansatz wäre: Spannend, interessant, so habe ich das noch nicht gesehen. Das geht übrigens immer. Staunen statt Ratschläge geben. Mein Wort zum Montag. Danke.

Du kannst mir übrigens einen Kaffee-Regen schenken, wenn dir danach ist. Weil Geben und Nehmen zusammengehören. Meine Kaffeekasse findest du hier.

2 Antworten

  1. Der Satz „Erzähle ich davon, dass ich übermäßig angestrengt bin….“ hat mich zum schmunzeln gebracht. Weil als Replik zu dieser Aussage würde dann bestimmt auch gut passen : Na wenn Sie soviel zeit haben um da so ein Blog zu schreiben brauchen Sie sich doch nicht beschweren.
    Im Tenor gebe ich Ihnen vollkommen Recht, es ist einfach etwas zu relativieren in dem man es in eine Skala rauf oder runter positioniert. Jedoch vielleicht einfach mal Fresse halten und eine Umarmung machen, um zu zeigen das man berührt ist fällt uns anscheinend schwerer. Verbal drücken wir anscheinend lieber eine wie-auch-immer-geartete Meinung aus als mit Empathie.
    Wünsche eine friedvolle, erleuchtete Adventszeit
    Hatto

    P.S. bin von Mastodon als @Pfeinfenraucher hier her gekommen

    • Das ist ein sehr interessanter Gedanke, denn so etwas in der Art habe ich durchaus schon zu hören gekriegt. Ich hatte jemandem nämlich gesagt, ich hätte keine Zeit für ein Treffen, worauf der meinte, wenn ich so viel Zeit hätte, um auf Facebook oder im Blog zu posten, dann müsste ich das doch wohl auch hinkriegen. Völlig bekloppt natürlich, aber dieser Mensch meinte das wirklich so. Ich glaube, es würde schon helfen, wenn wir nicht immer gleich antworten müssten. Der Impuls, mal eben schnell irgendeinen Gedanken unter nen Text oder Bild oder was auch immer drunterzuklatschen, führt selten zu geistreichen Ergänzungen – ich denke eher an Gedankenlosigkeit.

      Hallo Hatto und schön, dass du hier gelandet bist! Ich wünsche dir eine ebenso schöne Adventszeit und einen ruhigen Jahresausklang
      Anna

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